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Wegen war die vollständige, vielfach angefochtene Erklärung dieser
Stelle bei Johannes schon seit den Tagen des h. Hieronymus bis in
das XVII. Jahrhundert bei allen folgenden Erklarern dunkel und
verschlossen. So viel uns bekannt ist, gebührt einem Professor
der Universität Gröningen, dem oft citirten Joh. Braunius, das
Verdienst, dass er gegen Schluss des XVII. Jahrhunderts mit vie-
lem Scharfsinn und grosser Belesenheit gegenüber der damals ziem-
lich feststehenden Meinung älterer Gelehrten zuerst den Beweis
geliefert hat, dass die eben angezogene Stelle beim Evangelisten
Johannes wörtlich zu nehmen sei, d. h. dass man im vorchrist-
liehen Alterthume die Kunst verstanden habe, Gewänder ohne Naht
anzufertigen. Durch die tiefgehenden Erörterungen des ebengedach-
ten Autors waren auch alle Schwierigkeiten hinsichtlich der ebenfalls
beanstandeten Anfertigung der vorher beschriebenen priesterlichen
und hohenpriesterlichen Gewänder ohne Naht als vollkommenes „opus
textoris" mit einem Male gelöst. Um seine interessante Beweisfüh-
rung auch dem Auge anschaulich zu machen, liess der ebenge-
dachte Orientalist eine genaue Zeichnung anfertigen, welche den
Webstuhl und seine mechanische Einrichtung veranschaulichte,
die es möglich machte, dass im hohen Alterthum auf einer ein-
fach construirten Maschine, jedoch nicht ohne grössern Zeigauf.
wand, geschlossene Gewänder rund und ohne Naht angefertigt
werden konnten. Wir haben auf Taf. IX, zur Erklärung des
Ebengesagten, in verkleinertel Maassstabe diese Darstellung des
Webstuhles nach der Anschauungsweise von Braunius wiederge-
geben und sind im Wesentlichen der technischen Erklärung des-
selben gefolgt.
WVie heute noch im Orient, pflegten auch in vorchristlichen
Zeiten die Gewänder ohne Naht meistens von Frauenspersonen
angefertigt zu werden. Auf Taf. IX haben wir deswegen unter
a eine yveberin zur Darstellung gebracht, die stehend an einem
Webstuhle ihrem Kunstgewerke obliegt und den Stuhl umgeht,
um das eine Mal in der einen Kette bei b den Einschlagsfaden d
durchgehen, das andere Mal auf der andern Seite des WVebstuhles
denselben Faden in der Kette c durchschiessen zu lassen. Die
l-eehte Hand unter e hat den flachen Holzstab (spatha) gefasst,
wodurch der Einschlag (subtemen, trama) nach oben angeschlagen
und verdichtet wird, der, vermittels der Webspule (radius), be-
Endlich unter f, in der linken Hand der Figur, in der Kette bei
c eingeschlagen wird. G, g, g, g bezeichnen die 4 flachen Bal-
ken, woraus, als wesentlichen Hauptbestandtheilen, der Webstuhl
im Alterthum bestand. Artemidorus nennt diesen Webstuhl, indem