Volltext: Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters oder Entstehung und Entwicklung der kirchlichen Ornate und Paramente in Rücksicht auf Stoff, Gewebe, Farbe, Zeichnung, Schnitt und rituelle Bedeutung nachgewiesen und durch zahlreiche Abbildungen erläutert (Bd. 1)

Dem Mönche von St. Gallen 1) zufolge, adoptirten die Fran- 
ken in ihrer Neuerungssucht das Costüm der besiegten Gallier und 
bedienten sich auch zu Gewändern gestreifter Stoffe. Auch bei den 
Arabern hat sich von der ältesten Zeit bis auf den heutigen Tag 
die Vorliebe für buntgestreifte Zeuge erhalten; man nannte die- 
selben bord u. hibarahß) 
Nicht weniger zeigten auch die alten Perser besondern Ge- 
schmack für kostbare Seidenstoffe, deren Dessins bandförmig in 
Gold eingewirkt waren, wie uns das Herodian berichtet. 3) 
Möglich ist es also immerhin, dass der in Rede stehende Stoff 
vor den Zeiten des Anastasius sein Entstehen fand. Dazu kömmt 
noch die am Oberarm offene Tunica des Löwenringers, die nach 
römischer Weise angebundenen Sandalen und eine im Winde flat- 
ternde chlamis, die zusammengenommen nicht undeutliche Nach- 
klänge an die sinkende Kunst der letzten Cäsaren bieten. 
Die frappante Aehnlichkeit , welche zwischen vorliegendem Ge- 
webe in Bezug auf Material, Textur, Farbe und Zeichnung und den 
äusserst merkwürdigen Original-Webereien im Schatze zu Aachen") 
besteht, lässt mit ziemlicher Sicherheit schliessen, dass, wenn dem 
Urtheile Sachkundiger zufolge diese letztbezeichneten Gewebe theil- 
Weise dem VI. und VII. Jahrhunderte angehören, unser in Rede stehen- 
der Stoff letzter Hälfte des VIII. Jahrhunderts zu vindiciren ist.  
Da hier zum bessern Verständnisse der Entwickelung der 
kirchlichen Gewänder bloss in leichten Umrissen und gleichsam 
als Einleitung zum Folgenden die Geschichte der mittelalterlichen 
Weberei in ihren verschiedenen Perioden skizzirt und durch Zeich- 
nungen erläutert werden soll, so möge das Gesagte genügen, um 
Zu beweisen, dass schon vor dem X. Jahrhundert in Byzanz und 
dem europäischen Griechenlande das Alte Testament bei Darstel- 
lungen zu liturgischen Zwecken sogar in Geweben nicht ausser 
Acht gelassen wurde; indessen war das Neue Testament eine viel 
ergißbigere Fundgrube zur Auswahl von seenerirten Darstellungen, 
die man besonders nach Beilegung der Bilderstreitigkeiten im Ori- 
ente bei kostbaren Stoffen desto häufiger in Anwendung brachte. 
Bevor wir aber unsern alten Gewährsmann wiederum des Oeftern 
i) Mon. San. Gal. Lib. I. de eccles. cur. Caroli Magni c. XXXVI. 
2) Dict. det. des noms des vätements chez les Arabes, pages 133, 134. 
3) Häyöe 6510111680; zujiu ßagßägwv  Ä     äoäqrmgucrbä xm ßagvuf; Jux- 
(pögoa nsnozxrlluärov ÄwQnxEs. 
Vergl. weiter darüber die Notizen des äusserst belesenen Francisque- 
Michel in seinem oft citirten schätzbaren Werke tom, I, pag. 370. 
a) Wir werden später auf die Beschreibung (lerselben zurückkommen. 
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