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artistischen Productionen zu profanen oder religiösen Zwecken ge-
brauchte, so kann es uns nicht wundern, dass in jenen kost-
baren Gewandstoffen, die die Feier des christlichen Cultus verherr-
lichen sollten, die üblichen profanen Zeichnungen von dem jedes-
maligen Geschmacke, dem Style des Jahrhunderts dictirt wurden,
und dass sie daher vielfach, namentlich wenn dieselben von Beken-
nern des Koran angefertigt wurden, die damals fast ausschliesslich
das Monopol der Seidenmanufactur besassen, der christlichen
Symbole und Reminiscensen entbchrten.
Daher denn auch jene manchfaltigen, oft befremdenden my-
steriüsen Darstellungen von halb Thier und halb Pflanze, wie sie
unser Gewährsmann Anastasius mit einer fast ängstlichen Gewis-
senhaftigkeit zu beschreiben niemals unterlässt. Mancher möchte
fragen: wie kam es denn, dass in jenen Jahrhunderten, wo
doch die Kunst noch nicht die Kinderschuhe abgelegt hatte, selbst
Stoffe zu Gewändern mit Thiergestalten und historischen Darstel-
lungen belebt wurden? Eine bedeutende Autorität in der Kunst-
literatur-Ciampini in seinen Veter. mon. T. 1, p. 94- gibt dar-
über nähern Aufschluss. Er sagt: „Die Künste reichten sich die
Hand; der Gebrauch, die WVände der Häuser mit Malereien zu
verschönern, verhalf auf die Idee, den Fussboden mit Darstellun-
gen in Mosaik zu verzieren, und so ging man noch weiter und
bedeckte die Stoffe mit Stickereien und bemalte die "Webereien mit
Scenerien vermittelst des Einschlags (la trame)". Die alten Schrift-
steller liefern uns in Menge Beschreibungen von solchen histori-
schen Stoffen.
Gehen wir nun nach diesen allgemeinem Andeutungen über
das öftere Vorkommen von figürlichen Darstellungen in den Ge-
weben der vorliegenden Zeitperiode näher auf die einzelnen Thier-
bilder ein, wie sie sich in den heute so selten gewordenen Ueber-
resten von alten Stoffen noch erhalten haben, und wie sie uns der
ofterwähnte Anastasius in hundertfältiger Abwechselung citirt, so
überzeugt man sich, dass nicht leicht eine der bekannten Thier-
gattungen übergangen ist. Bei dem in der orientalischen und occi-
dentalischen Kirche bestehenden Gebrauche, sich zu liturgischen
Zwecken kostbarer Seidenstoffe zu bedienen, in denen häufig bibli-
sche Thiere, fast heraldisch aufgefasst, vorkommen, wird man es
erklärlich finden, dass um diese Zeit die priesterlichen Gewänder
nicht, wie es heute der Fall ist, nach den liturgisch vorgeschrie-
benen Färben, sondern meistens nach den im Stoffe befindlichen
Darstellungen benannt wurden; daher denn auch in den alten Ne-
krologien und Inventarien die Ausdrücke: „das Messgewand mit