Volltext: Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters oder Entstehung und Entwicklung der kirchlichen Ornate und Paramente in Rücksicht auf Stoff, Gewebe, Farbe, Zeichnung, Schnitt und rituelle Bedeutung nachgewiesen und durch zahlreiche Abbildungen erläutert (Bd. 1)

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Beweise, wie tief die Stickkunst in dem ersten Kaiserreiche in 
Bezug auf Composition und technische Ausführung von ihrer 
frühern Höhe gesunken war. Dasselbe Schicksal der Regeneri- 
rung in Hinsicht auf Form und Technik theilen auch jene Ge- 
wänder, wie sie mit sinnlosen, tändelnden Goldstickereien über- 
gossen, und die matten, kunstlosen Tage I{ai'l's X. charakterisi- 
rend, bei der Krönung des eben gedachten Bourbonen in neuester 
Zeit zur Anwendung gekommen sindß) 
Wir wollen hier nicht weiter ausführen, wie geistlos und un- 
erquicklich es auf dem Gebiete der im lNIittelalter so vielfach ge- 
übten kirchlichen Stickkunst in den eben zurückgelegten dreissi- 
ger Jahren geworden war und wie kläglich es an vielen Or- 
ten heute noch auf diesem Kunstgebiete bestellt ist. Hier noch 
die Hinzufügung, dass in den letzten Deccnnien nur wenige 
Dilettanten gefunden wurden, die für kirchliche Zwecke zuweilen 
Nadelarbeiten auszuführen unternahmen, denen man noch einen 
gewissen Ernst des Strebens rücksichtlieh der technischen Aus- 
führung absehen konnte, wenn gleich hinsichtlich der Conlposition 
Unklarheit und der gänzliche hlangel eines einheitlichen Kunst- 
styles sich nur zu sehr geltend machte. Von jener Manchfaltig- 
keit, wie in frühern Jahrhunderten die Technik in den schön- 
sten und gediegensten Mustern aufgetreten war, hatte man 
vollends alle Ahnung verloren, desgleichen auch mit welcher 
Hingabe und welcher bewundernswerthen Ausdauer die kunst- 
geübtern Vorfahren der eben gedachten Thätigkeit oblagen. Es 
gehörte daher in den letzten vierziger Jahren zur seltenen Aus- 
nahme, wenn man namentlich in den höhern Ständen der Gesell- 
schaft Nadelarbeiten für kirchliche Zwecke am Stickrahmen iu Platt- 
stich oder am Tambourin mit einiger [Iingabe und Ausdauer zur 
Ausführung bringen sah. Hatte man  doch begreifen lernen, 
dass man bei Herstellung von Stickarbeiten, wie man sie auf Sopha- 
kissen, Carpets, bei Schellenzügen und sonstigen Kleinigkeiten in 
Anwendung bringt, schnell und ohne grosse Anstrengung zu einiger 
Virtuosität in der Stickkunst gelangen könne, wenn man die Arbeiten 
in prächtigen F arbentönen in Wolle auf Stramin vermittels Kreuz- 
stichen ausführe. Alle Welt und sogar die Kinder in der Schule, 
die ihre Zeit gewiss mit Erlernen von Nützlicherm hätten zubringen 
Wir sahen dieselben in dem Schatze der ehemaligen Krönungskirehe zu 
Rheims zugleich mit den übrigen Krönungsgeräthschuften in Gold, die in 
ihrer modernen Physiognomie einen wirklich kläglichen Eindruck machen, 
wenn man damit vergleicht den altehrwürdigen grossartigen Krönungsornat; 
der deutschen Kaiser in der Hofburg zu Wien.
	        
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