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Faltenwurf durch schwere Stickereien nicht zu sehr gehindert wurde.
Der Gewandstoff kam an den mittelalterlichen Ürnaten mehr zur
Geltung und die Stickerei war noch nicht zur Hauptsache ge-
worden. Der neu aufgekommene Styl jedoch liess an den pric-
sterlichen Gewändern die Stickerei zur Hauptsache werden, und
verkürzte dermaassen das Stoiiliche der verschiedenen Paramente,
dass namentlich an der Casel nur zwei Flächen übrig blieben,
die, an der vordern Hälfte bequem ausgerundct, die brillanten
Stickereien des Stabes und des Kreuzes nur eben als Einfassung
umgeben sollten.
Die Nadelmalereien, die jetzt zu sehr auf Effect für's Auge
und auf eine Fernsicht berechnet wurden, traten nun in der
Renaissance, sehr anmaassend, in grossen Dessins auf, die mit
dem engen, ärmlich zugeschnittenen Gewande nicht mehr in Pro-
portion stehen wollten. Um einen "effet magnifique" in der
Stickerei zu erzielen, nahm man zu Schluss der Renaissance-
Epoche und besonders in der spätern Zopfzeit seine Zuflucht
zu Unterlagen und Ausfüllungen, damit die Goldstickerei desto
kräftiger hervortrete. Der Plattstich, ehemals bei figuralen
Scenen angewandt, verliert sich in der Renaissance immer
mehr und mehr und eine verworrene, ungeordnete Blumen-
stickerei in naturalistiseher AuHassung und mit einem Aufwande
von schillernden Regenbogeniarben kommt insbesondere gegen
Schluss des XVII. und vollends im XVIII. Jahrhundert bei
liturgischen Nadelmalereien zu allgemeiner Geltung. An eine
kirchliche, symbolisch gehaltene Composition wurde im XVII.
und XVIII. Jahrhundert, da der Geistliche bei der Wahl und
Angabe der Muster nicht mehr thätig eingriff, und auch die
Klöster diesen im Mittelalter ihnen vorzugsweise zuständigen Kunst-
zweig aus Händen gegeben hatten, selten mehr gedacht. So kam es
denn, dass die kirchliche Stickkunst fast ausschliesslich in der Hand
von unkundigen Fabrikanten und Paramentenhändlern in den zwei
letzten Jahrhunderten der Art ausartete, dass in der Composi-
tion eine monotone Guirlande mit Häufung von vielfarbigem
Blumenwerk, so wie die Anwendung von Blumen- und Frucht-
kürbchen, von Füllhürnern stereotype Anhaltspunkte und Vor-
lagen für kirchliche Stickereien wurden. Nur hin und wieder
werden noch als vereinzelte Erscheinungen bei dem allgemeinen
Ruine, worin die Stickerei sich befand, einzelne grüssere Or-
nate in Plattstieh mit bildlichen Darstellungen, deren Zeichnungen
jedoch schon sehr schwülstig und manirirt geworden sind von Klo-
sterfrauen in stiller Zurückgezogenheit geübt. Hierhin ist be-