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in ihren Umrissen mit einem Seidencordonnet umzogen und auf solche
Weise dieselben befestigt. Die Composition dieses Apostelbildes
zeigt deutlich an, dass der Maler, der dem Bildsticker zu diesem
Kniestüeke die Skizze lieferte, schon vollständig nach den neuen
italienischen Formen sich gebildet hatte. Die i-Xuftitssung und Hal-
tung bekundet viele Aehnlichkeitexl mit den vielbewunderten Apostel-
Statuen von Peter Vischer am Scbaldus-Grrzibmalc zu Nürnberg.
Auch der reiche Faltenbrueh des Gewandes in runden wellen-
ftirmigen Linien zeigt deutlich an, dass zur Zeit, als diese Stickerei
angefertigt wurde, die Renaissance ihre lltrrrschaft schon vollständig
auch auf diesem Gebiete des künstlerischen Schalfens vollendet hatte.
Die Köpfe, so wie das Inearilat der Hände sind in fleischfztrbigem
feinem Atlas gehalten, der datdurch seine Anwendung gefunden
hat, dass man das ganze ltledaillon auf fleischfarbigem Taflet so
als Grundlage stiekte, (lamit bei diesen erstgenannten lncarna-
tionstheilen der Grundstoff des Atlas zum Vorschein treten konnte.
Die einzelnen Umrisse der Hände und der männlich ernst gehal-
tenen Gesichtszüge sind mit dunkeler Seide in wagereehten Stichen
auf dem Atlas erzielt werden; desgleichen auch Haupt- und
Barthaare.
Inder vorliegenden Abhandlung haben wir es nach besten
Kräften versucht, bei fast gänzliehem Mangel an gleichartigen
Vorarbeiten in dem engen Raume von wenigen Druckbogen eine
geschichtliche llebersieht über den Entwickelungsgatig, den die
Stiekkunst an der Hand der Kirche im Mittelalter genommen
hat, nachzuweisen. Wir betrachten diese Notizen bloss als eine
anleitende Vorarbeit, die ein kundigerer Nachfolger dazu benutzen
dürfte, um vielleicht in späterer Zeit die archäologischen Wis-
senschaften mit einem umfangreichem Werke über diesen seither
wenig beachteten und gar nicht bebauten Zweig kirchlich-mittel-
alterlicher Kunst zu bereichern.
Schliesslich sei es uns vergönnt, der Vollständigkeit. wegen,
noch einige allgemeine Bemerkungen hinzuzufügen über den all-
mäligen Verfall der kirchlichen Stickkunst in den letzten drei
Jahrhunderten und über das Wiederaufleben der religiösen Na-
delmalereien in der jüngsten Zeit.
An die Nadelmalereien der Renaissance wurden, bei dem viel-
fach willkürlich veränderten Schnitt der alten Messornate, Erfor-
dernisse anderer Art gestellt, als solche bei den liturgischen Ge-
wändern des Mittelalters zur Bedingung gemaeht wurden. Die
Stickerei an den faltenreiehern mittelalterlichen Gewändern musste
elne zartere und leichtere sein, damit bei der weitern Form der