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Möglich ist es nun, dass vorliegendes Caselkretiz in Seide- und Gold-
stiekereien auf einem rothen feinen Wollenstoff ausgeführt, entwe-
der ehemals in einer Franciscanerkirche in Gebrauch war, oder
man hat den matten, nicht glänzenden Grundstoff von rother fei-
ner WVolle deswegen zur Anwendung gebracht, damit die Ürna-
mentstickerei in Seide und Gold desto leuchtender auf dem ruhigen
Grundstoff von Wvolle sichauszeichnen könne. Die Originalstickerei
selbst bildet den Langstab eines Caselkreuzes mit verlängerten an-
genäheten Querbalken. Die Zeichnung auf Tafel XVIII. hat. dieses
Caselkreuz bloss als Bruchstück mit bedeutender Verkleinerung
der obern Querbalken des Kreuzes wiedergeben können. Das
Muster in dieser interessanten Stickerei, die mit einfachen Mit-
teln sehr stylgerecht und effectvoll ausgeführt ist, wird gebildet
durch fortlaufende fast herz- oder birnförmig gestaltete grössere
Einfassungen, die in ihrer Mitte eine sogenannte Muttergottes-
lilie jedesmal umranden, an einem Stiele hervorwaehsend, der
oben ebenfalls in Weise einer „fieur de lis" ornamental gehalten
ist. Zu beiden Seiten dieses kreisförmig zurückkehrenden Motivs
erblickt man je eine Rose, im Sechsblatt gehalten, mit blauen
Staubfäden in der Mitte. Es kann keinem Zweifel unterliegen,
dass dieses Ornament symbolisch zu deuten sei auf zwei hervor-
ragende Eigenschaften der Muttergottes, die ebenfalls mit dem
göttlichen Kinde, von Sternen umgeben, in der Mitte der Kreuzes-
vierung gestickt zur Darstellung gebracht ist. Uns Will es schei-
nen, dass dieses Ornament eoniponirt worden ist unter Bezug-
nahme auf den bekannten Spruch: „tota pulchra es Maria et
non est inacula in te." Die Rosen bezögen sich dann auf die
Upulchritudo" der Himnielskönigin und die immer wieder zurück-
kehrenden Lilien der Mitte auf die Bezeichnung: „sine macula".
In letzten Jahren haben wir, in dieser Weise auf Wollenstoff
gestickt, eine grössere Zahl von Caselkreuzen vorgefunden, die
sämmtlich, aus dem Beginne des XVI. Jahrhunderts herrührend,
sehr einfach und ohne Aufwand von grossen Kosten kunstreich
ausgeführt sind. So besitzt unter andern die "Tresskammer" der
Marienkirche zu Danzig eine interessante Stickerei an einem Mess-
gewande, die in einem ähnlichen Systeme, wie die vorliegende,
auf Tafel XVIII. veranschaulichte Stickerei ausgeführt ist. Auch
die Sacristei der Pfarrkirche zu Kapellen bei Geldern, so wie die
der Pfarrkirehe zu (Qualburg bei Cleve haben auf Messgewän-
dern Stickereien aus der spätgothischen Kunstepoche aufzuweisen,
die mit der eben beschriebenen „aeupietura" in Bezug auf Com-
position und Ausführung sehr verwandt sind.