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ruhig ansehen, dass meistens Maler vierter Klasse, die widerrecht-
lich diesen Namen sich anmaassen, in nachdunkelnden Oelfarben
da sich breit machen, wo einst der Bildsticker als Künstler Gele-
genheit fand, grössere Nadelmalercicn zu schaffen, die noch nach
Jahrhunderten sich heute als künstlerisch echt und dauerhaft
erweisen. 1) Unsere heutigen, meist für ein Spottgeld auf steifer
Leinwand in Oel gemalten Fahnenbilder zeigen hingegen oft
schon nach zehn Jahren Spuren der Vergänglichkeit und fangen
vollends in dem noch jugendlichen Alter von 20 Jahren an schad-
haft und nach und nach unsichtbar zu werden. Abgesehen da-
von, dass es widernatürlich zu sein scheint, eine Fahne oder ein
wallendes Banner, das jedem Luftzuge nachgeben soll, in der
Mitte mit zwei steifen Oelbildern zu behaften, die der Bewegung
entgegenstehen und leicht Brüche erhalten, so verdienen gestickte
Fahnenbilder in leuchtende1', schimmernder Seide, auch ihrer
Wirkung und ihrer Dauerhaftigkeit Wegen, unbedingt immer den
Vorzug vor Bildwerken in trockenen Farben gemalt.
Bevor wir den allniäligen Verfall der Stickkunst mit dem
Schluss des Mittelalters und dem Beginne der Renaissance weiter
verfolgen, erübrigt es noch, hierorts durch Beschreibung und
unter Vorlage getreuer farbiger Copieen den vorhergedachten
Höhepunkt, den die kirchliche Bildstickcrei vor Abschluss des
Mittelalters erreicht hatte, denjenigen zu veranschaulichen, die
nicht Gelegenheit hatten, von den vorzüglichen Leistungen mit-
telalterlicher Bildsticker durch Besichtigung von Originalstickereien
sich zu überzeugen. Tafel XVII. veranschaulicht als Copie in
Farbendruck eine mittelalterliche Corporaltasche, wie sie bei
reichern Festtags-Ornaten, statt der heutigen „bursa" im XV. Jahr-
hundert vielfach in Anwendung kam. Dieselbe ist fast quadra-
tisch gestaltet, da die Lange einer jeden Seite etwas mehr als 20
Centimeter beträgt. Der Tiefgrund dieser äusserst zart gestick-
ten Corporaltasehe ist in der Art und Weise mit Goldfäden dicht
überzogen, wie auch die Kunststicker zu Arras den Fond zu
ihren Stickereien "a or battu" einzurichten pflegten. Es sind
In der Sacristei von St. Andreas in Köln bewundert man heute noch vier
grüssere Medaillons, trefflich iu Plattstich gestickt, die zur Darstellung
bringen die Ilauptbegebenheiten aus dem Leben des h. Hubertus. Wahr--
scheinlich dienten dieselben ehemals als Mittelbilder zweier Fahnen und
sind dieselben unseres Dafürhaltens nach von Carthäusermünchen im XV-
Jahrhundert mit grosser Meisterschaft angefertigt worden, wie das in un-
serm Werke: "Das heilige Köln, I. Lieferung", ausführlicher zu er-
sehen sein wird.