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technischer Vollendung ausgeführt. Was diesen so erzielten Bild-
stickereien von Arras zur grossen Zierde und Empfehlung ge-
reicht, ist der Umstand, dass die dicht unterliegenden Goldfäden
unter den farbigen Ueberfangstichen überall hervorschimmern,
und auf diese Weise alle darüber gesticktem Farbtöne den Lustre
des darunter schimmernden Goldes erhalten. Sogar die Incarna-
tionstheile der Figuren sind mit diesen dicht neben einander ge-
fügten Goldfäden unterlegt und hat die Kunst der Bildsticker
Gesichtstheile und Hände so dicht in fieischfarbiger, meist orientali-
scher Haarseide überstickt, dass hier der Fond a. or battu" nicht
durchschimmelt. Es ist fast unmöglich, eine höhere Vollendung
der Bildstickerei zu erstreben, wie wir diese an ausgezeichneten
kirchlichen Ornaten, in der eben bezeichneten Weise angefertigt, zu
bewundern Gelegenheit hatten. In der angedeuteten Technik sind
auch zwei unvergleichlich schöne Messgewänder in der Sacristei
von Columba zu Köln ausgeführt (vgl. Seite 283). Auch unsere
Privatsammlung besitzt mehrere reich scenerirtc Bildstickereien,
gearbeitet über gezogene Goldfaden , die von der hohen Vorzüglich-
keit der kirchlichen Nadelmalereien, wie sie namentlich in der er-
sten Hälfte des XVI. Jahrhunderts in Arras in Menge angefertigt
wurden, beredtes Zeugniss ablegen.
Seitdem wir längere Zeit uns mit einschlagenden Forschun-
gen über die historisch figurirten Webereien in Wolle, Seide und
Gold beschäftigt haben, nicht weniger mit kunstreich gearbeite-
ten Goldstickereien für liturgische Zwecke, die in der eben gedach-
ten Stadt das XIV. und XV. Jahrhundert hindurch zahlreich
angefertigt zu werden pflegten, sind wir auf mancherlei Angaben
gestossen, die es uns als wahrscheinlich erscheinen lassen, dass
das bei weitem umfangreichste und grossartigste Monument kirch-
licher Stiekkunst, das uns aus dem XV. Jahrhundert noch über-
kommen ist, unbedingt in Flandern und möglicherweise sogar in
der kunstsinnigen Stadt Arras, dem Hauptsitze dieser Industrie, an-
gefertigt worden sein dürfte. Diese unvergleichlichen Ornatsticke-
reien, wie sie heute nicht leicht in Europa von reichern in dieser
Weise überboten werden dürften, finden sich heute noch vor-
trefflich gut erhalten in der k. k. Schatzkammer der Hofburg zu
Wien und bilden dieselben einen vollständigen Altars-Ornat, der
heute meistens unter dem Namen aGewänder des Toison-d'or-
Ürdens" nur im kleinern Kreise bekannt ist, Dieser pracht-
volle "ornatus integer" nämlich gehörte als integrirender Theil
zu jenen reichen Ornamenten, die bei Abhaltung der grössern
Ordensfeste vom goldenen Vliess von der Geistlichkeit in der