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Bischof von Gubbio, auf den Stuhl Petri erhoben worden war.
Was die Technik betrifft, so verrathexi die vielen in Gold und Seide
gesticktem Heiligenfiguren und grössern bildlichen Darstellungen auf
den noch erhaltenen Stäben, dass die Ornatsticker zu Arras sogar ge-
gen Mitte des XVI. Jahrhunderts nicht nur die alte Meisterschaft
und grosse manuelle Fertigkeit im Sticken noch bewahrt hatten,
sondern dass auch in der Composition und Drappirung der ge-
stiekten Figuren die Darstellungsweise des eben zum Abschluss
gekommenen Mittelalters sich meistens noch gerettet hatte. Die
Tradition zu Gubbio gibt heute noch an, dass Marcellus II. die-
sen reichen Prachtornat von den Bildstiekern zu Arras habe an-
fertigen lassen. Ein Beweis also, dass, wie wir auf Seite 257
der vorliegenden Abtheilung weiter andeuteten, Italien auch noch
gegen Mitte des XVI. Jahrhunderts nicht die Bildstickerei zu
kirchlichen Gewändern in grösserm Umfange mit besonderer Vor-
zügliehkeit handhabte, sondern dass vorzugsweise diesseit der
Berge in Zünften und Innungen für den grossen Weltmarkt diese
Kunsterzeugnisse entstanden sind. Leider hat vor einigen Jahren
die Gewinnsucht und die Interesselosigkeit für solche hervorra-
gende Ueberreste eines altern , untergegangenen Kunstzweiges
den reich in Golddessins durchwebten Grundstoff dieser "Mar-
cellus-Capelle" zu Gubbio losgetrennt und eingeschmolzen, wie
das ein befreundeter Künstler, der an Ort und Stelle die eben
gedachten Stickereien von Arras in Augenschein genommen, uns
mitgetheilt hat.
In Bezug auf die Entstehung und das Alter dieses in Arras
einige Jahrhunderte hindurch geübten Kunstzweiges bemerken
wir noch Folgendes. Schon unter Karl V., König von Frank-
reich, geschieht in einem Inventar desselben einer grossen Bild-
wirkerci Erwähnung, die genannt wird „oeuvre diArras", und
heisst es dabei, dass sie mit vielen historischen Bildern, dem Al-
ten Testamente entlehnt, künstlerisch ausgestattet gewesen sei. 1)
Auch "schon um die Mitte des XIV. Jahrhunderts kommen reich
gestickte Besatze in Goldfäden vor, unter dem Namen „orfroyes
diArras". Desgleichen werden in dem ITGStQITIGIItG des Königs
fiilghard III. vlgn. England (gegenKIBQS emzellge Gäwändler dange-
ü rt, wa rsc e1n 1c zu cm ronungsornae ge ören , ie er
seinem Nachfolger vermachte. Es heisst darin nämlich: „Omnes
vestes de Ara(s) nostro remaneant successori." 2)
1) Revue areheologique, VII. annee, II. partie, 1851, pagc 744, Nr. 356.
2) Testam. Riehardi IL reg. Augl. apud Rymer, Foedera, ed. tert., tom. III.,
pars IV. pag. 158, col. 2.