265
nahet. Gleichwie die Maler in den Malerbuden Italiens in Menge
auf Bestellung jene kleinern Flügelbildchen für den Haus- und Pri-
vatgebrauch anfertigten, wie sie auch zu demselben Zwecke, je-
doch nicht in so grosser Zahl, in den Malerschulen Flanderns
und des Niederrheins Entstehung fanden, so wurden auch solche
Klapp- oder Flügelbildchen als kleinere Portativ-Altärchen von
der Stickerei in Anfertigung genommen und nicht selten mit den
kunstreichsten Nadelmalereien versehen. Der Glanz des Goldes und
der Seide und die Vollendung und Feinheit des Plattstiches war
meistens bei diesen Altärchen eine so ansprechende, dass diesel-
ben zuweilen Flügelbildchen in kunstreicher Sculptur oder Ma-
lereien vorgezogen wurden. Solcher prachtvoll mit der Nadel
gemalten Bildwerke geschieht häufig Erwähnung in den alten
Schatz-Inventaren, die uns Nachricht geben, welche Kostbarkeiten
an goldenen und silbernen Gefassen, Gerathen und Gewändern,
so wie an prachtvollen Bildwerken im Besitze der kunstsinni-
gen Herzoge von Burgund im XV. Jahrhundert sich vorfan-
den. Auch unter den Schätzen der Margaretha von Oesterreich
befanden sich solcher in Gold und Seide gesticktem Nadelmale-
reien in Form von Flügelbildern. Ebenfalls in dem Schatz-
verzeichnisse KarPs V. werden eine lange Reihe solcher pracht-
vollen Bildstickereien angeführt. So heisst es daselbst: „Item,
ung ymage de Saincte Agnes de brodeure", etc. „Item, ung
ymage de saint George de brodeure, en ung estuy couvert de
satanin ynde a ung chappiteau a facon de maconnerie. Item,
ungs tableaux de brodeure, ou sont Nostre-Dame, saiuctc Kathe-
rine et saint J ehan PEuVangeIiste, en ung estuy couvcrt de veluyau
vermeil. Item, le graut ymage de saint George de brodeure"
etc. Ein anderes Meisterwerk der höhern Stickkunst, das gegen
1454 für König Karl VII. von Frankreich mit dem grössten
Aufwande von Kunst und Pracht angefertigt wurde, ist jener
reiche Mantel, 2) gestickt von Colin Jolye, einer der ausgezeich-
netsten Kunststicker seiner Zeit, der auch für die Hauscapelle
Karls des Kühnen jenen prachtvollen vollständigen Priesterornat
anfertigte, der in der Domkirche zu Bern aufbewahrt wirdß) Zu
Les Ducs de Bourgogne, II. partie, tome II. page 16, Nr. 2l-l1 u. 2142.
Wir übergehen hier eine Besprechung dieses prachtvollen Mantels, da die
Beschreibung desselben in dem „Bulletiu archäologique publiä par le
comizö historique des arts er: monuments, tome III. page 86", und auch in
den "Annales archäologiques de M. Didron, tome I. (Paris, 181i, in 40) page
27, col. 2 et page 28, col. 1." ausführlicher Enthalten ist.
Vgl. Album dc M. du Sommerm-d, 10. sxirio, pl. XVIII, XXIX, XXX e:
XXXI.