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auch die etwas spätern Standbilder unter der Bogenlaube des süd-
lichen Thurmes am Dome zu Köln sind sprechende Belege dafür,
dass um die angegebene Zeit auch die Sculptur in compositorischer
und technischer Beziehung jene Höhe eingenommen hatte, die sie
als eine der Architektur bei- und untergeordnete Kunst einnehmen
durfte. Erst im XIV. Jahrhundert war es der Malerei vorbe-
halten, in ihren Schöpfungen ein grösseres Streben nach Natur-
wahrheit und Individualisirung geltend machen zu dürfen. Mit
der Schule des Cimabue in Italien wurden die Ueberlieferungen
der alten Byzantiner sowohl auf dem Gebiete der Wandmalerei als
auch der Tafelmalerei theilweile zu Grabe getragen und Giotto und
seine Nachfolger waren mit Glück bestrebt, ein Princip auf dem
Felde der Wand- und Tafelmalerei zur Geltung zu bringen,
das in dem spätern Fra Angelico da Fiesole seine schönsten Blü-
then trug. Die Höhe der Entwickelung auf dem Boden der christ-
lichen Malerei, die in Italien schon in der letzten Hälfte des
XIV. Jahrhunderts bei den Leistungen einiger hervorragenden
Meister ersichtlich geworden war, begann erst im XV. Jahrhundert
in dem Bereiche der Malerei in Flandern und auch am Nieder-
rheine zum Durchbruch zu kommen. Namentlich waren es hier
der sogenannte Meister Wilhelm von Köln, Schöpfer des Dombildes,
und in Flandern Johann van Eyck, mit seinem Bruder und seiner
Schwester, und gleich darauf Hemmling, die auf dem Gebiete
der Miniatur- und Tafelmalerei die grossartigsten Schöpfungen zu-
wege brachten und dieselben mit einem Fleisse der Technik aus-
führten, der in allen Zeiten Bewunderer finden wird. Als die
letzte der bildenden Künste, die im Mittelalter zu der Höhe ihrer
ästhetischen und technischen Ausbildung gelangte, ist die Sticke-
rei zu rechnen. Ihre völlige Ausbildung und Vervollkommnung
konnte natürlich nur da erst erfolgen, nachdem die übrigen
Künste die Höhe derselben bereits erreicht hatten. Da, wie
früher bemerkt, die Stickkunst die Miniatur- und [Fafelmalerei
sich zum Vorbild und zur Lehrerin genommen hatte, und auf
kostbar gewebten Stoffen das in Goldfäden und schimmernder
Seide zu leisten suchte, was der Maler auf Pergament oder Holz
darzustellen bemüht war, so leuchtet es ein, dass gegen Mitte des
XV. Jahrhunderts, bei dem anregenden Vorgange, der von der
Malerei ausgegangen war, auch die Bildsticker Kenntniss neh-
men und sich aufgefordert sehen mussten, in der Bildstickerei
das Grösste zu erzielen, dessen ihre Kunst fähig war.
Die Blüthe der Stickkunst fällt nun gerade in jene Zeit, wo
am Hofe der kunstsinnigcn Herzogs von Burgund sämmtlichen