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Nadelmalerei, vorstellend den englischen Martyrer Thomas Beckett
von Canterbury, angethan mit seinen Pontificalgewändern.
Was England an kunstreichen, mittelalterlichen Stickereien noch
in den Sacristeien seine1' altern Kathedralen besitzt, dürfte heute,
nachdem religiöser Fanatismus in den Tagen Cromwellis das
meiste zerstört hat, jetzt nicht mehr sehr bedeutend sein. i)
Desto mehr dürfte sich jedoch in den Privatmuseen und Sammlun-
gen reicher englischer Lords vorfinden, was sich in letzten Zeiten
von altkirchlichen Stickereien im Occident hin und wieder noch hat
ausfindig machen lassen. Bei der Unkenntniss, die in diesen Din-
gen noch vor 10 bis 15 Jahren auf dem Itlestlande herrschend
War und oft Bedeutendes für billigen Preis an kauflustige Engländer
verschleudert wurde, dürften manche Schätze der hühern Stick-
kunst, ehemals Zierden von rheinischen, belgischen und holländischen
Kirchen, einen unfreiwilligen Uebergang über den Canal angetreten
haben. So sah man ausser einigen Stickereien von weniger Be-
deutung eine prachtvolle gestickte Chorkappe auf der vorigjährigen
Kunstausstellung zu Manchester, die jedenfalls auch irgend einem
englischen Privatmuseum entlehnt war. Dieselbe zeigte unter
ornamentalen, architektonisch geformten Baldachinen Figuren von
Heiligen im feinsten Plattstiche ausgeführt, und dürfte dieses
Meisterwerk der Stickkunst ebenfalls in den Anfang des XV.
Jahrhunderts zu verweisen sein. WVer Interesse daran finden
möchte, das Nähere über englische Stickerei in der vorliegenden
Epoche in Erfahrung zu bringen, der unterlasse nicht, das lehr-
reiche Werkchen des bekannten Architekten Pugin: „English Medi-
eval Embroidery" näher durchzublitttern. Wir müssen leider offen
eingestehen, dass es uns bei Ausarbeitung der vorliegenden Ab-
handlung über mittelalterliche Stickereien nicht gelungen ist, trotz
unserer allseitigen angestrengten Bemühungen, in den Besitz die-
ses selten gewordenen Buches zu gelangen.
Nachdem wir in dem Vorhergehenden in Kürze eine Um-
schau gehalten haben hinsichtlich der noch erhaltenen Meisterwerke
kirchlicher Stickkunst,ausgefertigt vor dem Schlusse des Mittelalters,
vornehmlich in Italien und Spanien, sei es gestattet, im Folgen-
den die Prachtstickereien jener Länder und Provinzen des Na-
hern zu beleuchten, wo die Kunst der Nadelmalereien im Dienste
des Altares im XV. Jahrhundert am grossartigsten zur Entfaltung
1) Vgl. über die heute noch voriindlichen altenglischeu Stickereien die ein-
schlagenden Nachrichten in dem „Church Needlework by Miss Lambert,
London, S. Murray, 1844", und „The Art of Needle-Work. London, Henry
Colbum, 1842".