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das Auge des Beschauers bestach, so dass man, bei den nicht zu
hohen Preisen, solchen meisterhaft ausgeführten Webereien hin und
wieder den Vorzug vor den gesticktem Ornamenten ertheilte; nur
war dabei der Nlissstand, dass dieselbe Darstellung sich mehr-
mals wiederholte, wogegen es dem Bildsticker immer anheimge-
geben war, mit der grössten Freiheit seine Gruppen zu ordnen
und in der Aufeinanderfolge einen steten WVechsel der Scenen
eintreten zu lassen. Während unseres längern Aufenthaltes in
Italien haben wir in derselben technischen Ausführung eine Menge
derartig gewebter Stäbe mit Heiligeniiguren, sämmtlich Ersatz-
mittel für Bildstickereien, für unsere Privatsammlung käuflich zu
erwerben Gelegenheit gehabt, und bietet das Vorliegende einen
Anhaltspunkt zur Beurtheilung einer grossen Zahl gleichartigerß)
Ob Spanien noch in seinen vielen grossartigen Kirchen und
Kathedralen, die in ihren architektonischen Formen den Einfluss
der maurischen Kunst auf die Gothik so vielfach erkennen lassen,
bedeutende Monumente der kirchlichen Stickerei aus der Blütliezeit
derselben aufzuweisen habe, wissen wir heute nicht mit Bestimmt-
heit anzugeben, da wir nur auf eine sehr kurze Zeit das nörd-
liche Spanien berührt haben. Q) Aus mündlichen Mittheilungen
des unermüdlichen Abbe Martin liesse sich entnehmen, dass die
letzten politischen Stürme, die das unglückliche Spanien von den
Tagen des Königs Joseph bis auf die Zeiten Don Carlos? von
allen Seiten durehtobt haben, wohl Weniges mehr an bedeuten-
den und reichen kirchlichen Stickereien, aus dem Mittelalter
herrührend, zurückgelassen haben. Indessen verweilte unser se-
liger Freund, wie uns später gesagt wurde, nicht lange genug in
Dem Charakter der Cornposition und Ausführung nach zu urtheilen, dürfte
vorliegende Weberei in der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts entstanden
sein unter dem Eint-lasse der Schule des Ghirlandajo.
Behufs eingehender Studien über mittelalterliche kirchliche Paramentik ha-
ben wir mit grossmüthiger Unterstützung eines kunstsinnigen deutschen Für-
sten, dem vorliegendes Werk gewidmet ist, Deutschland, Frankreich, Italien
und die Provinzen des österreichischen Kaiserstaates mehrere Jahre hin-
durch sorgfältiger durchforseht. Einer gnädigen Aufforderung unseres erha-
benen Protectors zufolge und Höchstdesselben Tochter, der Prinzessin Ste-
phanie, der hohen Verlobten Sr. Majestät des Königs von Portugal, auch
auf die iberische Halbinsel später unsere Nachforschungen auszudehnen, dürften
wir bei Herausgabe der letzten Lieferungen dieses Werkes vielleicht in
der Lage sein, hinsichtlich der einsehlagenden reichen Kunstschütze, die
sich zweifelsohne in Portugal und Spanien, aus den schönem Tagen des
Mittelalters herrührend, noch vielfach erhalten haben, ausführlicher be-
richten zu können, was heute bei der Spärlichkeit der Nachrichten über
mittelalterliche Kunstschätze in den gedachten Ländern nicht zu ermög.
liehen ist.