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könnte das vorliegende Antependium wohl Italien als seine Ge-
burtsstätte beanspruchen. Jedoch möchte die Innigkeit im Ausdrucke
der Köpfe und die mit grösstem Fleisse geordnete Drappirung der
Gewänder dafür Zeugniss geben, dass bei der Composition der vielen
Figuren die rheinische und namentlich die kölnische Schule Einfluss
gehabt haben dürfte. Da aber der Apfel nicht weit vom Baume fallt
und man in der Regel die Anfertigung eines Kunstwerkes nicht
gar zu fern von dem Orte suchen muss, wo es von jeher
seine Aufstellung gehabt hat, so haben wir, als wir zum letzten
Male dieses vortreffliche Werk mittelalterlicher Stickkunst bewun-
derten, einem unausweichbaren Stylgefühle nachgebend, die Ansieht
gewonnen, dass dieser Vorhang in Verbindung zu setzen sein
dürfte mit der Blüthezeit der Malerschule und der Miniaturkunst
in dem unfernen Böhmen, Wo unmittelbar vor dem Ausbrüche
der unglücklichen hnssitischen YVirren, aufgemuntert durch den
kaiserlichen Protector, Karl IV., die bildenden Künste insgesammt
zu einer ungeahnten Höhe sich erhoben hatten. 1)
Bevor wir im Folgenden zur Aufzählung und Beschreibung
dessen übergehen, was die Stickkunst im XV. Jahrhundert für kirch-
liche Zwecke geleistet hat, mag es gestattet sein, bei der Beschrei-
bung einer sehr interessanten Nadelwirkerei aus dem XIV. J ahrhun-
dert noch vorübergehend zu verweilen, wie sie unsere Sammlung auf-
zuweisen hat. In zierlichen Medaillons von sogenannten Ostereiern
eingefasst, die jedoch über Eck gestellt sind, erblickt man auf einem
Fond, in Goldfäden gestickt, mehrere Halbfiguren, Apostel und ver-
schiedene andere Heiligen vorstellend, und zwar sind diese sämmt-
liehen Halbliguren in vielfarbiger Seide im Plattstich unregelmässig
gestickt. Diese sich fortsetzenden sogenannten Ostereibildungeil
sind nach kurzen Unterbrechungen in Verbindung gesetzt durch
künstliche Bandverschlingungcn, ein Andreaskreuz in einem Qua-
drate bildend, aus welchem hervorwachsen Eichenblätter und
Früchte, oder aber es sind diese Verschlingungen abwechselnd um-
geben von zwei entgegengestellten Vögeln, welche fast die Form von
Papageien haben. Auch an den beiden Rändern ist Weinlaub und.
Bei einem längem Aufenthalte in Prag, behufs der genauen Abzeichnung
der „böhmischen Kleinodien", hatten wir Gelegenheit, im Prager Mu-
seum ein praehtvolles Miniatnrwerk zu bewundern, herrührend von einem
der tüchtigsten Miniaturen der böhmischen Schule, dessen Name uns gegen-
wärtig entfallen ist. Bei längerer Besichtigung ist uns die grosse Ver-
wandtschaft der gestickten Figuren des in Frage stehenden Antependiumg
von Pirna mit den grössern Bildern dieses Codex recht augenfällig ge.
worden.
Liturgische Gewänder. W