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ten Gothik in der Stickerei ihre Anwendung fanden. Wir
lassen die Beschreibung dieser interessanten Capelle in wört-
licher Uebersetzung hier folgen: „Item, ein vollständiger Altar-
Ornat, ein Geschenk der Kaiserin, bestickt mit Greifen und Adlern
in kostbaren grossen Perlen, auf einem Purpnrstoif (in nachone de
imperiali). Derselbe ist mit kleinen Löwen bestickt und auf der
Rückseite ist er ober- und unterhalb mit drei gestickten Adlern
und drei Greifen kunstreich ausgestattet; auf der rechten Schulter
erblickt man einen Greifen und auf der linken einen Adler. Auch
ist auf der Vorderseite der Dalmatica ein Greif angebracht und
zu beiden Seiten des Greifen sind zwei Buchstaben gestickt,
nämlich R. E. Darüber erblickt man die kaiserlichen Kronen
in grossen Perlen ausgeführt, und auf dem hintern Theile einen
Adler mit denselben gesticktem Buchstaben und
Vergebens haben wir in Italien in den Sacristeien der vielen
Kathedralen nach verschiedenen Monumenten und vereinzelten
Bruchstücken aus jener Kunstepoche Nachforschungen angestellt,
wo Giotto und seine Schule den Stickern und Stickerinnen die
Zeichnungen entwarf zu jenen Heiligenfiguren, die, in Plattstich
ausgeführt, die Malerei auch auf die Kirchengewändcr übertra-
gen sollte. Nur noch in Anagni, dem einzigen heutigen Fund-
orte für umfangreichere Monumental-Stickereien, fanden wir einen
kleinern Altarvorhang (paliotto altaris) vor, der mit seinen
reichen Hguralen Bildstickereien an die Frühzeiten der italieni-
schen Malerschulen und die Wechselbeziehungen derselben zu
der verwandten Bildstickerei erinnerte.
Da in der vorliegenden Epoche, dem Zeitalter der Gefan-
genschaft der Päpste in Avignon, bekanntlich Gras auf den
Strassen Roms wuchs, und die Stickkunst also im höhern Grade
sich im Innern Italiens zu entfalten keine Gelegenheit hatte, so
glaubten wir bei einem öftern Besuche Avignons hier noch am sie-
benzigjahrigen Sitze der Päpste die Reminiscenzen einer leider heute
untergegangenen Kunstepoche von kirchlichen Nadelmalereien
zu Enden. Aber auch diese Hoffnung tauschte; denn Avignon
hat aus jener Periode, wo St. Petri Stuhl in seinen Mauern
aufgerichtet war, in der Kathedrale und den übrigen Pfarr-
kirchen keine Spuren mehr von ornamentalen und Bildsticke-
reien aufzuweisen, wie sie in den vielen prachtvollen Capelleu
im heute noch erhaltenen "palais des Papes" daselbst den Gottes-
dienst verherrlichen halfen. Die vielen und grossartigen Wand-
malereien in den Gemächern der Päpste, die noch vor wenigen Jah-
ren dem Uebermuthe und der Geringschätzung einer militaifißßhßll