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verbreiteten, ohne Härten. Dürfen wir uns wundern, dass eine
Kunst, die sich ein so hohes Ziel stellte und die insbesondere
für zarte Frauenhände, die besser mit Seide umzugehen ver-
stehen, als mit nassen oder fetten Farben, sich vorzugsweise
eignete, in den höchsten Regionen der damaligen Welt eine so
begeisterte Aufnahme zu finden. Da das XIV. Jahrhundert der
Damenwelt der höchsten Kreise glücklicherweise nicht so vielerlei
geistlose, zerstreuende und abspannende Unterhaltungen bot, wie
das mit geräuschvoller, geschäftiger Abwechselung die moderne
Gegenwart einzurichten weiss, so wurde alsbald die höhere Stick-
kunst und ihre Anwendung zu kirchlichen Ornaten die bevor-
zugte Lieblingsbeschäftigung in den Gemächern der Königs- und
Fürstenpaläste; deswegen finden wir denn von jetzt ab Königinnen
und Fürstentöchter in edeler, angestrengter Thatigkeit allenthalben
damit-beschäftigt, bischöfliche und priesterliche Gewänder und die
übrigen Altar-Ornamente, die zur würdigen Feier des h. Opfers er-
forderlich waren, mit grösster Hingabe und Präcision durch die
reichsten und prachtvollsten Nadelarbeiten auszustatten. Um nicht
hier nochmals Erwähnung zu thun von den reichen Stickereien,
die wir schon in den vorhergehenden Jahrhunderten von einzel-
nen hervorragenden Königinnen und Fürstinnen im Dienste des
Altares anfertigen sahen, 1) sei es gestattet, in Folgendem nur einige
Beispiele anzuführen von Fürstinnen, die in ihren Palästen die
religiöse Kunststickerei betrieben, gleichsam wie in einem Kunst-
Institut, wozu auch die Damen des Hofes mit herangezogen
und in Thätigkeit gesetzt wurden. So vernehmen wir bei Jean
Bouehet, dass Gabrielle von Bourbon nie müssig befunden
wurde, sondern dass sie einen grossen Theil des Tages dazu
verwandte, reichere Stickereien anzufertigen und dass sie mit
dieser Kunst auch ihre Hofdamen beschäftigte, deren sie eine
grosse Zahl um sich versammelt sah und zwar aus hohen und
reichen Häusernß.) Auch zur Zeit Ludwigs IX. von Frankreich
sehen wir, dass seinelSchwester Isabelle mit kirchlichen Sticke-
reien häufig beschäftigt war, und zwar in stiller Zurückgezogen-
Noch fügen wir bci dieser Gelegenheit nachträglich hinzu, dass die heil.
Margaretha, Königin von Schottland, bereits in früher Zeit sehr ausgedehnt
mit ihren Hofdamcn die kirchliche Stickkunst mit grosser Kunstfertigkeit
übte, und. dass es den Anschein gewonnen habe, als ob, dem Berichte
gleichzeitiger Chronisten zufolge, die Zimmer ihres Palastes die Bestimmung
getragen hätten, als Arbeitsstätten und Niederlagen verschiedenartiger kunst-
reich gestickter Messornate zu dienen.
Edit. du Pantheon litteraire, pag. 769, eol. l.