Volltext: Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters oder Entstehung und Entwicklung der kirchlichen Ornate und Paramente in Rücksicht auf Stoff, Gewebe, Farbe, Zeichnung, Schnitt und rituelle Bedeutung nachgewiesen und durch zahlreiche Abbildungen erläutert (Bd. 1)

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knieend das Rauchfass schwingen und das Schiffchen halten. Die 
gleichartige Technik, worin die ganze grossartige Nadelarbeit 
ausgeführt ist, dürfte man heute als eine unregelmässige Platt- 
stickerei im Flammenstich bezeichnen; in Frankreich würde man 
dieselbe mit dem Ausdrucke "pointe d'Hongrie" benennen. Die 
vielen reich verzierten Darstellungen in diesen 30 Medaillons 
sind erklärt durch eingestickte Legendarien, die sich in den 
Kreisen als Commentar für diese Bildwerke befinden. Wir 
haben hinsichtlich der ältern liturgischen Gewänder viele 
Kathedralen Italiens, von Venedig bis Palermo, sorgfältig un- 
tersucht und glauben nicht, dass der "Garten Europas", der 
heute an alten liturgischen Gewändern sehr dürftig geworden ist, 
noch kirchliche Stickereien in seinen Saeristeien aufzuweisen habe, 
die mit dem in Rede stehenden päpstlichen Ornate zu Anagni im 
entferntern verglichen werden könnten. 1) Es ist uns bei längerer 
Besichtigung des vorher gedachten Altarvorhanges im Dome zu 
Salzburg eine frappante Aehnlichkeit sehr aufgefallen, die die 
vollständig analog gestickte Capelle zu Anagni mit der früher 
beschriebenen gleichartigen Stickerei im Dome zu Salzburg auf- 
zuweisen hat. Spätere Vergleiche und Durehpausen dürften es zur 
Evidenz erheben, ob nicht etwa die Stickerei zu Salzburg und das 
päpstliche Geschenk zu Anagni von einer und derselben kunstge- 
übten Hand gegen Schluss des XIII. Jahrhunderts ihre Entstehung 
gefunden habe. Einer der kenntnissreichsten archäologischen Schrift- 
steller Frankreichs, der verdienstvolle Herausgeber der bekannten 
„Annales Archeologiques" bemerkt bei Gelegenheit der Beschrei- 
bung der figürlichen Darstellungen 2) jener altdeutschen Stickereien, 
die wir in dem leider sehr vernachlässigten Schätze von Anagni 
nicht genugsam bewundern konnten, dass eine Pluviale heute noch 
in der Kirche des h. Maximin zu Toulouse aufbewahrt werde, 
die ebenfalls aus der letzten Hälfte des XIII. Jahrhunderts her- 
rühre und die in derselben Technik wie die eben belobten Sticke- 
reien zu Anagni ausgeführt sei und genau der Zahl, dem Style 
und dem Gegenstande nach dieselben Scenen aus dem Leben des 
Auch noch eine grössere Zahl von Musterwerkcn der Stickkunst des XII. 
Jahrhunderts fanden wir an ältern liturgischen Gewändern und Altarbe- 
kleidungen in ziemlich desolatem Zustande im Domschatze zu Anagni. 
Conscrvator Ramboux hat mehrere dieser Nadelmalnreien des XII. und 
XIII. Jahrhunderts daselbst copirt, die von bedeutenden Malern der Schule 
von Cimabue und Giotto entworfen zu sein scheinen. 
Annales Archeologiques, p. V. Didron. tom. XVII. pag. 235. Juillßt e! 
Aoüt 1857.
	        
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