Volltext: Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters oder Entstehung und Entwicklung der kirchlichen Ornate und Paramente in Rücksicht auf Stoff, Gewebe, Farbe, Zeichnung, Schnitt und rituelle Bedeutung nachgewiesen und durch zahlreiche Abbildungen erläutert (Bd. 1)

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diese kleine Veränderung im Schnitt konnte das Gewand sich mehr 
den Formen des Körpers anbequemen und gingen die Faltenbrüqhe 
bei dem verminderten Stoffe nicht so tief hinein, wie dies früher 
der Fall war. Mit dem grössern Reichthume der Stickereien, 
der sich mit dem Beginne des neuen Styles auch an der Mitra 
entfaltet, desgleichen an den übrigen stofflichen Ornamenten, die 
vorzugsweise zum Ornate des pontificircnden Bischofes gehören, 
kam auch gegen Mitte des XIII. Jahrhunderts ein neues Gewand- 
Stück in Aufnahme, das ehedem bloss, wie schon früher bemerkt, 
von den Sängern und jenen Kirchendienern getragen wurde, die 
dem Laienstande angehörten. Wir meinen die Pluviale (eappa), 
die auch in einigen Gegenden Vesper- oder Rauchmaxitel genannt 
wird. Diese Cappa entbehrte ehedem des Sehmucks der Stickerei, 
reichte gewöhnlich nur bis zu den Knieen und hatte nach hinten eine 
Haube, "Caplltillm", geräumig genug, dass sie über den Kopf gezogen 
und wieder heruntergeschoben werden konnte. Da diese Pluviale 
gegen Mitte des XIII. Jahrhunderts zum priesterlichen und bi- 
schöflichen Gebrauche erhoben wurde, liess man die frühere hin- 
tere Capuze iortiallen und blieb als Reminiscenz an dieselbe 
ein kleines Schild zurück, das die Kunst der Stickerin mit 
ornamentalen und figuralen Verzierungen auf's reichste aus- 
zustatten nicht unterliess. Namentlich aber bot der vordere 
Streifen der Chorkappe der Stickkunst, die sich jetzt aufge- 
legt fühlte, das Reichste, was sie vermochte, zur Ausführung 
zu bringen, eine willkommene Gelegenheit, die zierlichsten Form- 
bildungen in reichßnl lViatßrial und manchfaeh abwechselnder 
Technik zur Anwendung zu bringen. 
Wenn nun einerseits das Bedürfniss und die Nachfrage nach 
kunstreichen Stickereien zum Dienste des Altares im XIII. Jahr- 
hundert sich gesteigert hatte und auch von anderer Seite künst- 
lerische Kräfte in Menge vorhanden waren, die mit allen Mitteln, 
 
mit heidnischen, klassisch-griechischen Formen buhlte, einen solchen völlig 
umgestalteten Einduss aus auf allen Gebieten der Kunst, die ja- ein ge- 
meinsames Band umschlingt. Jedoch führte leider diese Umbildung nicht; 
zu einer weitcrn Entwickelung der althergebrachten heimathlichen Formen, 
sondern sie begann ihre Modificationen mit dem völligen Umsturz der he- 
stehenden kirchlichen Tradition im Reiche derFormcn. Hatte die Gothik dem 
Messgewende eine ästhetische bequemere Gestaltung gegeben, die mit den 
körperlichen Formen des Trägers analog war, so hat die Renaissance, wie wir 
dies später sehen werden, die Schuld auf sich geladen, das ehrwürdige 
faltenreiche Gewand auf zwei bretterförmige Stücke zu reducircn, die in 
ihrer Getrenntheit und Steifheit keinen Anspruch darauf mehr haben können 
noch als ein Gewand bezeichnet zu werden. ,
	        
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