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ausging und reiche Geschenke erhielt, dafür liessen sich gar
viele Zeugnisse beibringen und erhellt das auch unter andern
Angaben aus einer Stelle in dem Romane „de la Violette",
wo Girbert de Montreuil uns vorführt eine Patriciertochter aus
Chalons, die im elterlichen Hause damit beschäftigt war, eine
Stola und ein Amict mit Gold und Seide zu besticken, das
sie auf's kunstreichste übersäete mit kleinen Kreuzen und Ster-
nen. 1) Dass dieser erhöhete Aufschwung, den die Sticke-
rei mit dem Aufkommen der neuen Bauweise empfing, sich
auch in anspornender Weise jenen mittheilte, von denen die
Stiekkunst ihren Ausgang genommen hatte und die Jahrhunderte
hindurch die überlieferten Formen und Reminiscenzen dieser Kunst
sorgsam gehütet und bewahrt hatten, braucht wohl nicht erst be-
wiesen zu werden. Auch nicht weniger auffallend kann es er-
scheinen, dass in den zahlreichen Weiblichen Klöstern, manchmal
durch äussere Einflüsse der Umgebung veranlasst, religiöse Sticke-
reien ausgeführt wurden, die nicht ausschliesslich kirchlichen Zwecken
bestimmt waren. Und so sehen wir denn, dass wie im VI. Jahr-
hundert der sittenstrenge Caesarius von Arles, so auch in der
vorliegenden Epoche der Erzbischof von Rouen, Eudes Rigaud,
sich veranlasst sah, in mehrcrn Klöstern der Normandie die An-
fertigung aller kunstreichcn Stickereien zu untersagen, die zu an-
dern Zwecken als dem Altargebrauch bestimmt wurden. 2) Unter
jenen Gegenständen, die dieser Erzbischof im Kloster anzufertigen
verbot, waren sicherlich zu rechnen: Handschuhe, die man um diese
Zeit reich zu besticken pflegte, und besonders Leibbinden und
kleinere Geldbürsen und Täschchen, die als Schmuck im XIII.
Jahrhundert am Gürtel getragen wurden. An diesen kleiner-n
spielenden Luxusgegenständen püegten die Stiokerinnen jener
Zeit einen grossen Reiehthum und eine grosse Sorgfalt in der
zierlichen Zusammensetzung der einzelnen Details zu verschwen-
den. S0 hat uns W illemin in seinem grossen Sammelwerke
eine Abbildung jenes interessanten Hangetäschchens (escarcelle)
mitgetheilt, äusserst kunstreich in Gold und Seide gestickt, das
dem Grafen Dietbold von Champagne und Brie zugehört haben
soll. 3) Zweifelsohne stammten diese Hängetäschchen (aumönieres),
Roman de 1a Violette, pag. 113, v. 2292 et suiv.
"Inhibuimus ne moniales darent elemosinarias, fresellas, vel acuarias." Re-
gestrum visitationum archiepiscopi Rothomagensis. Und ferner: „Inhibui-
mus omnibus ne opcrarentur de serico, nisi ea quae ad ecclesiam peYti-
nennt." Ibid. pag. 451.
Willemin tom. I. pag. 68, col. 2 et pl. 114.