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Eleganz des Lebens und Zierlichkeit der Formen Einhalt gethan
werden konnte. Bei diesem regen Aufschwunge, der in einer
veränderten Weltlage auf den meisten Gebieten der Kunst statt-
fand, kam es auch, dass die Stickkunst, die im grössern Um-
fange seither im Dienste des Höchsten, meistens in Klostermauern
geübt wurde, im XIII. Jahrhundert allgemach in die Hände
der reichen Bürgertöchter, der edeln Iiitterfrauen überging und
bald zu Luxus und wohnlichen Zwecken an Profangewändern
und Mobilargegenständen eine ausgedehntere Anwendung fand.
Dass durch diesen Üebergang der Stickerei aus dem Kloster
in das Haus der reichen Bürger, in die Wohnungen der Pa-
tricier und in die Schlösser und Burgen des niedern und ho-
hen Adels die Stickkunst selbst in ihren Formen andere Bil-
dungen aufgenommen habe, dass zu den veränderten Zwecken
auch eine veränderte Technik und auch ein anderes Material
genommen wurde, leuchtet ein. S0 ist es erklärlich, dass unter
den Arbeiten, die im XIII. Jahrhundert das Burgfräulein für den
Ritter anfertigte, den sie sich erkoren, nicht nur kunstreiehe Na-
delmalereien ausgeführt wurden in Seide und Gold, sondern dass
auch vielfach der Haarschmuck der beiden Geliebten in Sticke-
reien seine Anwendung fand. 1) Dass die Sitte zur höchsten Blüthe-
zeit des Ritterthums eine sehr verbreitete gewesen sein müsse, näm-
lich ginzglne Theile des Haarschmuckes zu Stickereien zu verwen-
den, und solche Nadelarbeiten als tändelnde Spielereien in der
Minnezeit betrachtet werden können, lässt sich unter Anderm auch
entnehmen 3,113 einer Stelle eines französischen Troubadours,
wo es von einem Könige Ris heisst, dass er seiner Dame einen
Mantel übersandt habe, mit vielen Stickereien aus dem Bart-
haarg von neun überwundenen Königen und dessen Saum aus
dem Haarschmucke des Königs Arthur sollte verziert werden,
den er als zehnten König noch zu besiegen gedachte. 2) Eine
Menge poetischer und prosaischer Ueherlieferungen, in den Ge-
sängen und Sagen sowohl provencalischer als auch deutscher Dichter
und Sänger enthalten, stellen es ausser Zweifel, dass in jenem an
Kunstproducten eben gedachter Art so ergiebigen XIII. Jahrhun-
dert, wo der Cult der Frauen seine höchste Höhe erreicht hatte und
zuweilen auch in Extreme ausartete, die Stickkunst eine bevor-
zugte Lieblingsbeschäftigung edeler Frauen und Jungfrauen ge-
1) Chronique du Chastelain de Conci et de 1a Dame de Tat], im Anfange
der "Chansons du Chätelain de Conci," pars II.
i) Le Chevalier aux ij Espöcs, Ms. de 1a Bibl nnt., suppl. fr. Nr. 180,
ful. 2 recto, col. 1, v. 36.