Volltext: Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters oder Entstehung und Entwicklung der kirchlichen Ornate und Paramente in Rücksicht auf Stoff, Gewebe, Farbe, Zeichnung, Schnitt und rituelle Bedeutung nachgewiesen und durch zahlreiche Abbildungen erläutert (Bd. 1)

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KIRCHLICHE 
STICKEREIEN 
AUS 
DER 
LETZTEN 
H JICLFTE 
DES 
XIII. 
BIS 
Z UM 
SCHLUSSE 
DES 
XIV. 
JA HRHUNDERTS. 
(FRUEHGOTHISCHE 
KUNSTEPOCHE.) 
Wie im vorigen Abschnitte zu zeigen versucht wurde, war 
im XIII. Jahrhundert die Stickkunst zu Cultzwecken in formeller 
und technischer Beziehung zu grosser Blüthe gelangt. Gegen 
Mitte des XIII. Jahrhunderts bemäehtigte sich der Iiaienstand in 
einem noch nicht da gewesenen Umfange der Stickkuust; dieselbe 
fing an, in den städtischen Wohnungen der Patrieier, auf Burgen 
und Schlössern des Adels heimisch zu werden, und begann man 
bereits damit, sie zünftig auszuüben. 
ICin zu früh verstorbener Freund und Strebensgenosse, Abbe 
Martin, führte einmal treffend an, die Gothik komme ihm, ihrer Ent- 
stehung nach, manchmal vor, wie eine Art Revolution auf dem Ge- 
biete althergebrachter Formen, wodurch die ererbten Gesetze und 
Regeln der Architektur, die bis zum XII. Jahrhundert meistens eine 
Geheimlehre und ein Eigenthunl der Geistlichkeit in vier Kloster- 
mauern gewesen sei, in den Besitz des Laien übergegangen, und 
vollends gegen NIitte des XIII. Jahrhunderts in die Hand der Bau- 
brudersehaften und der Bauhütten gekommen sei. Ein Aehnliches 
möchte man fast hinsichtlich der Stickkunst behaupten. Auch 
die Stiekkunst war bis zum XII. Jahrhundert grüsstentheils in 
den Klöstern von frommen Klosterfrauen gehegt und gepflegt 
worden. Die weiblichen Klöster schienen den besondern Beruf 
zu haben, für die Zierde des Altars mit grosser Hingabe thätig 
sein zu sollen. Ihre Zeit war, in friedlicher Zurüekgezogenheit, dem 
Gebete und der Handarbeit gewidmet. Welche Handarbeit konnte 
edeler und würdiger befunden werden, als die kunstgcrechte 
Ausführung jener Ornamente, die mit dem Altare in unmittelbarer 
Beziehung standen. Das Kloster war es also auch hier, wo nicht 
nur in den meisten Fällen die Composition, sondern auch die Tech- 
nik ihre höchste Weihe und Vollendung empfing. Gegen Mitte des 
XIII. Jahrhunderts hatte sich nun das Städteleben weiter entwickelt 
und ausgebildet. Reiche Bürger- und Patriciertöehter liebten es, im 
Schmucke von seidenen Kleidern mit reich gesticktem Säumen öffent- 
lich zu erscheinen. Auch auf Burgen und Schlössern war zur Zeit, 
als die "Minne" von den Troubadours im Klange der Lieder ge- 
feiert wurde, ein Streben nach Kleiderpraeht und nach Ver- 
Ziefllng der Gewänder aller Art in einer WYeise eingedrungen, dass 
vergeblich durch Luxusgesetze diesem maasslosen Streben nach
	        
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