Volltext: Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters oder Entstehung und Entwicklung der kirchlichen Ornate und Paramente in Rücksicht auf Stoff, Gewebe, Farbe, Zeichnung, Schnitt und rituelle Bedeutung nachgewiesen und durch zahlreiche Abbildungen erläutert (Bd. 1)

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Altares einen nicht unbedeutenden Aufschwung genommen hatte, 
mit Beigabe von erläuternden Tafeln, einige Andeutungen ge- 
geben, wie sie der enge Raum der vorliegenden Arbeit zulässt. 
lWit dem Beginn des XIII. Jahrhunderts trat, wie bekannt, auf 
allen Gebieten der bildenden Kunst ein neuer, Epoche machender 
Umschwung ein, der als Vorläufer und Morgenröthe einer neuen 
fränkisch-germanischen Kunstform begrüsst werden kann. In der 
Architektur hatte man bekanntlich zuerst im nördlichen Frank- 
reich schon gegen Schluss des XII. Jahrhunderts, wenn auch 
noch unklar und unbewusst, die ersten leisen Uebergänge zu die- 
sem neuen Baustyle gemacht, den man heute den „st.yle ogivale" 
allgemeiner zu bezeichnen übereingekomlnen ist. Die Kathedralen 
von Chartres, Bourges, Rouen, Laon, Rheims, Amiens sind als 
die hervorragendsten kirchlichen Monumente im nördlichen Frank- 
reich zu bezeichnen, woran die neuen Kunstformen des Spitz- 
bogenstyles am frühesten und augenfäilligsten zum Durchbruch 
gekommen sind. Es dauerte jedoch noch einige Zeit, bis man 
auch in der Kleinkunst, in der Malerei, Sculptur und Gold- 
schmiedekunst die alten traditionellen, vielfach von Byzanz ererbten 
und fast typisch gewordenen Formen vcrlicss und sich das neue 
germanische Formenprincip bei diesen gedachten Künsten gel- 
tend machte. Das Recht der Gewohnheit, das Bedürhiiss am 
Althcrgcbrachten fest zu halten, zuweilen aber auch absichtliches 
Widerstreben von bcjahrtern Künstlern, die nicht in ihren späten 
Tagen von den altern Formen abgehen wollten, die sie in ihrer 
Jugend lieb gewonnen und langjährig geübt hatten, waren theil- 
weise Ursache, dass die neuen Formen auf dem ornamentalen und 
iiguralen Gebiete, insbesondere aber in dem Bereiche der Weberei 
und Stickerei erst dann Platz gegriffen haben, als bereits der 
Spitzbogenstyl gegen Mitte des XIII. Jahrhunderts, namentlich 
in Deutschland zu seinen constructiven Consequenzen sich ver- 
stiegen hatte und seine frühe jugendliche Formenfülle, Freiheit 
und Poesie den nüchternen Gesetzen des Cirkels und der stren- 
gern Formenregel zum Opfer gebracht hatte. Eine genaue 
Durchsicht der meisten heute noch vorfindlichen liturgischen 
Stickereien, wie sie sich im nordwestlichen Europa, dem ursprüng- 
lichen Terrain, wo die neue Stylform als in ihrem eigentlichen 
Heimaths- und Geburtslande, zur Entfaltung gekommen ist, ha- 
ben uns die Ueberzeugung beigebracht, dass in kunstreichen 
Nadelwirkereien mit Selbstbewusstsein und angewandt auf figü- 
rale und Laubornamente erst in der zweiten Hälfte des XIII. Jahr- 
hunderts seine consequente Anwendung gefunden habe. Die erste
	        
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