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griechischen Schriftstellern zufolge nicht sehr ferne, da der Kreis
ankündige den „0rbis terrarum", auf welchem das Kreuz des
Christenthums als Sieger aufgetreten sei. Mit kurzen Worten
würde dieses Ornament also sagen: die Welt ist dem Kreuze un-
tcrthan. Was nun das Technische dieser merkwürdigen Sticke-
rei betrifft, so bemerken wir noch, dass sämmtliche Ornamente
in Goldfätlen ausgeführt sind, die sich bei näherer Unter-
suchung darstellen als stark vergoldete Silberdrähtehen, die über
einen festgedrehten gelben Seidenfaden gesponnen sind. und
zwar sind, wie bei allen altern Stickereien, diese Fäden nicht
durchgezogen, um den darunter liegenden Seidenstoff nicht zu
(lurchbrechen, sondern die Goldfaden sind dicht neben einander
gefügt und durch einzelne Stiche mit der Unterlage in Verbindung
gebracht. Auch besonders einfach aber von gefälliger Com-
position ist die in Gold gestiekte Randeixifassung an der einen
Seite der griechischen Stickerei. Die Aehnlichkeit dieser in Krei-
sen gestickten Kreuze auf dem kleinen Bruchtheil eines ehemaligen
umfangreichen liturgischen Gewandes mit den gleichartigen ge-
stickten Kreuzchen und Ringen auf der in dem Vorhergehen-
den gedachten Kaiser-Dalmatik, ist sehr augenfällig, nicht nur
hinsichtlich der Form, sondern auch betreffend die Art und
Weise der technischen Ausführung. Leider haben sich ausser
diesem Bruchtheile in der an Kunststickereien ähnlicher Art ehe-
mals so reichhaltigen Schatzkammer des Domes zu Prag, aus den
Zeiten der alten böhmischen Herzoge, der Prmsliden, herrührend,
keine mehr erhalten. Dafür aber weiss der Domschatz daselbst
in langer Reihe anzuführen eine Kette von Beraubungen und
Plünderungen, die der reichhaltige Schatz seit der Zeit der wilden
Hussitenkriege bis zu der preussisehen Belagerung von 1742 er-
litten hat. 1) Von altern Stickereien fand sich ausser der eben
Bloss zwei ältere Mcssgewilnder aus dem friihern Mittelalter in sehr schönen
und edeln Dessins finden sich heute noch in der Schatzkammer vor als die
letzten Reste verschwumlener Herrlichkeit. An den vielen übrigen Mess-
ornaten sind schwere, oft unbewegliche Goldstolle verwendet worden mit
hoch aufliegenden schwülstigen Stickereien, die nicht im mindesten einen kirch-
lichen Charakter haben, und die sämmtlich hinsichtlich ihrer Ueberladen-
heit und Formlosigkeit harmonirexl mit jenen vielen erstaunlich hohen Mi-
tren, die thurmförmig fast särnmtlich in Spitzbogenform gehalten sind. Bei
Betrachtung dieser umfangreichen Sammlung von Mitren hat es uns geschle"
nen, als ob jener geistreiche Franzose wohl nicht Unrecht gehabt habe, der
unlängst behauptete, dass, als die Gothik im XVI. Jahrhundert von fle"
hoehtrabenden Renaissance unbarmherzig verdrängt worden sei, sich die SPWP
bogenform in ihrer Angst gerettet habe auf das Haupt des Bischofs.