203
gebracht haben und noch bis auf unsere Zeit gerettet wer-
den istJ)
Der grossen Sorgfalt des Domcapitulars Dr. Pessina für Er-
haltung altkirchlicher Kunstgegenstände ist es zuzuschreiben, dass
sich bis heute noch ein unscheinbares Stück einer ältern höchst
merkwürdigen Stickerei erhalten hat, die uns Aufschluss gibt, in
welcher Art und Weise die byzantinische Stickkunst zur Belebung
und Ornamentirung grosser Gewandflächen aufgetreten ist. Es bildet
das nämlich ein kleines Bruehstüek eines schweren dunkelrothen
Seidenstoffes (ein festes ungemustertes Sergegewebe in einem
feinen Köper), wovon eine unverbürgte Tradition angibt, dass es
herrühre von der ncasula S. Andreae". Die beifolgentle Zeich-
nung auf Tafel IX. veranschaulicht in gleicher Grüsse die Form
und zugleich auch die Technik dieser interessanten byzantinischen
Stickerei, die wir dem XII. Jahrhundert zu vindiciren kein Be-
denken tragen. 2) Bekanntlich, wie schon in der ersten Abthei-
lung dieses Werkes weiter angeführt worden ist, waren bereits
zur Zeit des oft genannten Anastasius Bibliothecarius in den Ge-
weben und Stickereien zu kirchlichen Ornaten gegen das VII. und
VIII. Jahrhundert, von Byzantinern angefertigt, als beliebte Orna-
mente immer wiederkehrend bezeichnet: "panna holoserica cum orbi-
culis et cruce". Auch im X. und XI. Jahrhundert finden sich an bi-
sehöfiiehen und Patriarchal-Ornaten, entweder in Gold gewebt
Oder gestickt, eine Menge solcher Ringe, worin sich kleinere
griechische Kreuze mit gleich langen Balken befinden. Dasselbe
Ornament kehrt auch ohne hIodiiieation im XII. Jahrhundert zu-
rück und soll sich mit geringer Abwechselung an den liturgischen
Gewändern der schismatisch-griechischen Kirche traditionell erhalten
haben. Die Deutung dieses stereotyp angewandten Ornamentes läge
1) Zweifelsohne haben sich aus dieser Glanzepoche der byzantinischen Stickerei
noch viele Ueberreste in ältern griechischen Kirchen und Klöstern erhalten
in denen die griechische Kunst eine mehr stagnirende ist, und die Sacri:
steien derselben nicht so sehr durch die modernen Lyoner Stoffe der zwei
letzten Jahrhunderte überschwemmt worden sind. Wie wir aus zuverlässi-
gen Mittheiluugen eines geübten Sachkenners erfuhren, der längere Zeit
in Mogkau wohnte, sollen noch in der Patriarchalkirche zu Moskau, des.
gleichen auch in dem Kreml, dem alten Czarenpalaste daselbst, sich noch eine
bedeutende Anzahl von ältern byzantinischen Gewändern und Stickereien
vorfinden, die für die Archäologie überhaupt und besonders für die Kennt-
niss der liturgischen Gewänder der Griechen vom grössten Interesse sein sollen
7) Der entgegenkommenden Freundlichkeit des k. k. Directors der Maler-Alm:
demie zu Prag, Prof. Engert, verdanken wir eine Originalskizze dieser höchst
interessanten Stickerei, die mit grosser Präcision und Stylwahrheit wieder e-
geben ist. Vergl. beifolgende Taf. IX. g
Liturgische Gewänder. r 14