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Beide gleichartigen heraldisch geformten Scenerieen werden in
der Mitte getrennt durch eine schlanke Dattelpalme, die die
Mitte des grossen faltenreichen Kaisermantels von unten nach
oben ausfüllt. An der vordern Oeffnung dieser Kaiserpluvialc
lauft eine breite, ganz in grossen orientalischen Perlen mit Gold-
emaillirungen besetzte Borte (praetexta), die den Glanz und den
Werth des Krönungsmantels bedeutend vermehrt. Um den un-
tern Saum, von vier Perlrändern contourirt, befindet sich eine
merkwürdige Inschrift in bombastisch arabischer Diction, die an-
gibt, dass dieser Mantel gehöre zu dem, was gearbeitet worden
ist in der königl. Manufactur zu Palermo, der Hauptstadt Si-
ciliens, im Jahre 528 der Hedschra, d. i. 1133 n. Chr. Geb.
Das zweite Gewandstück, das nicht weniger beredtes Zeugniss
ablegt von der wirklich staunenswerthen Kunstfertigkeit und ma-
nuellen Geschicklichkeit der sicilianischen Sarazenen in der letz-
ten Hälfte des XII. Jahrhunderts ist jene prachtvolle, mit brei-
ten goldenen Säumen verbrämte Kaiseralbe (camisia, alba) die
mit einer Neschi-Inschrift, von vierfachen Perlrändern umgeben,
in gezogenen Goldfäden gestickt ist. Diese merkwürdige Neschi-
Inschrift, achtmal in gleicher Weise an dem untern Goldsaume
zurückkehrend, werden wir in einer folgenden Lieferung mit
der ausführlichen Beschreibung sämmtlicher gestickten Orna-
mente veranschaulichen. Die lateinische Inschrift, ebenfalls äusserst
delicat in gezogenen Goldfaden gestickt, lautet, ebenfalls acht-
mal zurückkehrend, wie folgt: „Operatum felice urbe Panormi
XV. anno Dn. W. regis Sicilie ducat. apulie et principat. Ca-
pue Filii regis WV. indictione XIV." Diese Inschrift gibt also
deutlich an, dass diese kostbare Albe gestickt worden ist in der
glücklichen Stadt Palermo unter der Regierung des Königs Wil-
helm II. im Jahre 1183. i)
In derselben königl. Manufactur, dem "gazophylacium" 2) der
Eine übersichtliche Detailbeschreibung der deutschen Kleinodien, mit Illu-
strationen in Holzschnitt, haben wir als Einleitung zu dem angekündigten
grossen Prachtwerke in der k. k. Staaxsdruckerei in Wien, in dem Märw,
April- und Mai-Hefte des Jahres 1857 der "Mittheilungen der k. k.
Central-Commission zur Erhaltung der Denkmale" vorläufig veröffentlicht
und verweisen wir, der Kürze obiger Andeutungen wegen, auf diese Vor-
arbeit.
1) Neuere Orientalisten haben, fussend auf den Luxus und die Ueppigkeit, die
am Hofe der Normannen-Könige, der Nachkommen des Grafen Tancred von
Hauteville herrschte, in diesem Gewandhause oder königLManufactur eine Art
yüvqCelor erkennen wollen, das ein anständiger Ausdruck für eine Art
von Harem gewesen sei. Wenn auch das Sympathisiren einzelner siciliuni-