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mit breiten neben einander liegenden Fleehtstichen so ausgefüllt,
dass dadurch in regelmassiger gleichartiger Technik die Haupt-
localtöne in der Stickerei gebildet wurden. Sämmtliche Fleisch-
partieen sind in unregelmässigem Plattstiche ausgeführt. Durch
das lange Liegen an einem dumpfen und feuchten Orte sind die
Farben an der vorliegenden interessanten Stickerei so erloschen,
dass man kaum noch die frühern Haupttöne in der Farbe wahrneh-
men kann. Von allen Farbetönen hat sich am besten erhalten die
violette echte Purpurfarbe der Üntergewäntler dieser Apostelstatuen,
die, wie es ihre Erhaltung lehrt, jedenfalls aus dem Safte der
Purpurschneeke (murex) genommen war. Es unterliegt keinem
Zweifel, dass diese Stickerei, die uns die technische Ausbildung
und Entwickelung der iiguralen Stickkunst im XII. Jahrhundert
diesseit der Berge zeigt, wie das auch ihr Fundort deutlich er-
kennen liess, von abendländischen Künstlern angefertigt werden
ist. Dass dieselbe in Deutschland ihr Entstehen gefunden habe,
dürfte sich schon in dem bewussten Streben nach Naturwahrheit
und Individualität deutlich entnehmen lassen, wodurch bereits im
XII. Jahrhundert figurale Darstellungen germanischen Ursprunges
sich deutlich von den formverwandten, jedoch verknöcherten und
hierarchisch-stereotypen Bildungen der Byzantiner vortheilhaft un-
terseheiden. Es kann in der vorliegenden Abhandlung, die, kurz
gedrängt, den Entwickelungsgang der mittelalterlichen Stickkunst,
in sofern sie kirchlichen Zwecken dienstbar war, andeuten soll,
unsere Absicht nicht dahin gehen, die vielen Stickereien des XII.
Jahrhunderts, wie sie sich in unserer Sammlung noch zahlreich
vorfinden, des Nahern zu erörtern; desgleichen können wir bei
diesen übersichtlichen Angaben nicht in langer Reihe aufzählen
jene vielen Stickereien an liturgischen Ornaten, wie wir sie in
den letzten sieben Jahren in den Schatzkammern grösserer Kathe-
dralen auf längern Reisen aufgefunden und kennen gelernt haben.
Es sei deswegen nur gestattet, der Vollständigkeit wegen jene
ausgezeichneten kirchlichen Stickereien, wie sie sich, durch ihre
hervorragende Bestimmung oder Grossartigkeit der Ornamente
und figuralen Darstellungen besonders ausgezeichnet, heute noch
erhalten haben, hier in Kürze in chronologischer Reihenfolge nam-
haft zu machen.
Wie wir im Vorhergehenden nachzuweisen versucht haben,
waren die Sarazenen im südlichen Spanien und vorzugsweise in
Sicilien schon im Beginne des XI. Jahrhunderts unstreitig im
Oeeidente die hervorragendsten Meister, wenn es galt, zarte
glänzende Seidenstoffe mit eingestiekten animalischen oder vege-