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mals bildeten diese beiden integrirende Theile einer grössern
"P3113, alteris", die mit zu den bedeutendern kirchlichen Stick-
arbeiten gerechnet werden konnte, die, aus dem XII. Jahrhun-
dert stammend, sich theilweise noch bis auf unsere Tage er-
halten hat. Leider fanden wir diese ehrwürdigen Reste einer
frühern blühenden Kunst-Industrie an unwürdiger profaner Stelle
von Moder und Feuchtigkeit aufgerieben, so dass wir von der
ganzen Altarbekleidung nur einzelne Ueberreste retten und durch
allmäliges Trockenlegen und andere künstliche Mittel wieder her-
stellen konnten. Aus den übrigen kleinen Resten, die sich glück-
lieher Weise noch ergaben, war zu entnehmen, dass dieser
reichgestickte Altarvorhang ehemals folgende Einrichtung gehabt
hatte, In der Mitte dieses "frontale" thronte der Heiland, sitzend
auf dem Regenbogen mit segnender Rechte und einem geöffne-
ten Buche, Worauf man in romanischen Majuskeln die Worte
liest; „Ego sum liber vitae". Der Heiland, wie er in seiner
Majestät zurückkehrt, umgaben, wie immer, die vier symboli-
schen Thiergestalten der Evangelisten, von Kreismadaillons ein-
gefasst; zu beiden Seiten des Wveltenrichters Waren gestickt auf-
recht stehend unter einer sieh gleiehmässig fortsetzenden Rund-
bogenstellung die ernsten Gestalten der zwölf Apostelfürsten, wie
sie in der Verklärung mit dem Herrn am Tage des Gerichtes wie-
derkehren werden. (Vgl. Taf. VIII.) In den Rundbogen, die sich
baldachinartig über den Häuptern der Apostel befinden, ersieht man
die eingestickten Namen der einzelnen Standbilder. Als oberer Ein-
fassungsrand, der Wohl unmittelbar von der Deckplatte des Altars
herunterhing, befanden sich ehemals ebenfalls unter kleinen Bo-
genstellungen in Brustbildern mehrere Engelfiguren mit Spruch-
bändern, auf welchen der bekannte Spruch stand, der noch aus
einzelnen Ueberresten zu entnehmen war: „Sanctus, sanctus,
sanctus Dominus Deus Zabaoth". Die Länge des ganzen Ante-
pendiums mag nach unserer Berechnung ehemals 3 Meter 25 Cen-
timeter in seiner Länge und 1 Meter 26 Centimeter in seiner
grössten Höhe betragen haben. Was nun die Technik dieser
merkwürdigen Stickerei betrifft, so hat jedenfalls ein geübter Ma-
ler des XII. Jahrhunderts mit fester Hand die Conturen, sowohl
der Figuren als der einzelnen Ornamente, auf grobe Leinwand,
als Unterlage, hingezeiehnet, und hat die kunstgeübte Nadel der
Bildstickerin zuerst in derben, ziemlich erhaben aufliegenden Flecht-
stichen die Umrisse der Figuren, so wie die Inearnationstheile und
die Hauptlinien der Gewandungen vorerst ausgeführt. Alsdann
hat sie die einzelnen Gewandpartieen und die übrigen Ornamente