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noch hinzu, dass die meistens in Gold eingestickten Thieriignm-
tionen nur hinsichtlich ihrer Grösse von den gleichartigen eingeweb-
ten Dessins derselben Epoche sich unterscheiden. Tafel VII. veran-
schaulicht uns die Copie einer sehr interessanten Stickerei, wie wir
dieselbe in einem kleinen Reste von unserm für Erforschung
der Geschichte liturgischer Gewänder leider zu früh verstorbe-
nen Freunde Abbe Martin zum Geschenk erhalten haben. Dieser
Bruchtheil rührt ebenfalls von einem Messgewande aus dem Be-
ginne des XII. Jahrhunderts her und zeigt, von kleinemddlät-
terwerk in romanischem Style umgeben, als retournirende Des-
sins, zwei gegen einander gestellte geflügelte Greife, auf eine sehr
originelle Weise in Gold gestickt. Der Sticker hat nämlich
seine Ornelnelltß, entlehnt aus dem Thier- und Pfianzenreiche
(Arabeeke), auf eine Grundlage von dunkelblauer ungemusterter
Seide (schwerer Satin) so anzubringen gewusst, dass die sei-
dene Unterlage nicht im mindesten durch die aufgestickten
Goldfäden auf Dauer beschädigt werden konnten; deswegen hat
er die Goldfäden, die dicht neben einander gefügt die oben
bezeichneten Musterbilder, durch kleine Ueberfangstiche in gel-
ben Seidenfäden, nach kurzen Zwischenräumen, auf der Unter-
lage befestigt. Um aber seiner Kunstarbeit einen noch grössern
Halt zu geben, hat er den dunkelblauen Seidenstoff noch mit
einem starken F utterzeuge in Leinen hinterlegt. Die Ueberfang-
stiche, die, wie eben angegeben, die Goldfäden auf dem sei-
denen Fond befestigen, sind zugleich auch durch das Leinen-
futter gezggen und hat sich, dieser zweckmassigen Verkehrung
wegen, die reiche Goldstickeiei heute, trotz ihres mehr als
GOOjäbrigen Bestandes, ausgezeichnet. gut erhalten. Eine vollstän-
dig identische Goldstickerei hinsichtlich der Thier- und Pfianzen-
Ornamente und der blauseidenen Unterlage findet sich heute noch
an der merkwürdigen Casel, die, irren wir nicht, den Namen
"Messgewand des h. Bcrnard" trägti worin dieser grosse christ-
liche Denker des Mittelalters bei seinem Verweilen in Aachen
die h. Messe gefeiert haben soll. Wenn auch diese Tradition
nicht durch schriftliche Documente sich erhärten lässt, so wird
jedoch die Art und Weise der Stickerei, so wie die eigen-
thümlich stylisirten Greife, dann auch das romanische Laub-
werk geübtern Augen als Beweis gelten, dass wenigstens die
besagte Nadelarbeit die Tage des heil. Bernhard gesehen haben
könne und dass kein materieller, stofflicher Grund vorliege, der
chrenelcgisch mit der oben angeführten ehrwürdigen Ueberlie-
ferung in Widerspruch stände.