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Gleichwie mit dem Beginne der Kreuzzüge gegen Ende
des XI. Jahrhunderts allen Künsten im Dienste der Kirche ein
erhöheter Aufschwung gegeben wurde, so kam dieser jugendlich
frische Impuls, von religiöser Begeisterung gehoben, vornehmlich
jener Kunst und ihrer höhern Entwickelung zu statten, die ja
in ältester Zeit aus dem Oriente stammte und daselbst noch fort-
während ihre besondere Pflege genoss. Byzanz und die orienta-
lischen Provinzen des oströmischen Kaiserrcichcs, die Küsten von
Kleinasien und Syrien, Arabien und Aegypten waren jene Län-
der, wo seit der frühesten Zeit sowohl die kostbarsten Seiden-
und Goldstoffe für den grossen Weltmarkt angefertigt wurden,
als auch woher bis zum XII. Jahrhundert nicht nur einzelne
Stickereien für kirchlichen und profanen Gebrauch auf Handelswe-
gen für grosse Summen beschafft zu werden, sondern woher auch
die vorzugsweise im XII. Jahrhundert aufgeblühte und selbst-
ständig gewordene Kunst des Stickens ihre Musterbilder und
Anhaltspunkte und auch vorzugsweise das nöthige Stickmaterial:
Seide, Purpur und Goldfäden zu beziehen pflegte. Die Schranken, die
seither den Occident vom Oriente abgeschlossen hatten, Schwanden
im Jahrhunderte der Kreuzzüge mehr und mehr. Neue Handelsver-
bindungen wurden mit den industriereichen Städten des Orients:
Byzanz, Alexandrien, Damaskus, Antiochien und später auch
Jerusalem, das Hauptziel der abendländischen Pilger, angeknüpft,
woher der Occident seinen Bedarf an reichen Stoffen und pracht-
vollen Kunststickereien zu beziehen begann. Namentlich zählten
gegen Mitte des XII. Jahrhunderts, altern Schriftstellern zufolge,
Byzanz, Alexandrien und Jerusalem zu jenen reichgefüllten Sta-
pelplatzen, wo der Luxus und der Kunstfleiss der Araber, Perser,
Indier für abendländische Kauiieute und Pilgerzüge durch grosse
Caravanen zusammenhäufte, was die Kleinkünste des Orients,
namentlich im Fache der Weberei, der Stickerei, der Elfenbein-
schnitzwerke, der Emai1lir- und Goldschmiedekunst schon seit
Jahrhunderten hervorzubringen gewohnt waren. Seit dieser Zeit
sandten die zugänglicher gewordenen Handelsplätze des Morgen-
landes durch genuesische, venetianische und pisaner Kaufleute jene
reichen Webereien und Stickereien in Menge in das Abendland,
dargestellten grössern Heiligenßguren sind jedoch nicht gestickt, wie wir
dies an andern ältern Hungertüchern fanden, sondern in leichten Farben
gemalt. Es dürfte dies wohl das älteste Vorkommniss der Malerei auf
gewebten Stoffen am Rheinc sein. Eine unbegründete Tradition sagt von
diesem Tuche, es sei dieses das "gestickte Bahrtuch" der bekannten Rich-
modis.