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meistens nach Art unserer heutigen Teppiche auf grober dicker
Leinwand in Yvolle kunstreieh gestickt, oder auch aus einzelnen
Compartiznenten ven schwerem Tuche vielfarbig zusammengesetzt,
waren in der ältesten Zeit nicht so sehr mit figürlichen Darstel-
lungen belebt, sondern mehr mit Ornamenten, meistens symboli-
scher Natur, die aus dem Thier- und Pflanzenreieh gewählt Wa-
ren. 1) Die zarte Scheu des Mittelalters, das Heilige zu profa-
niren, vermied es sorgfältig, den detaillirten Beschreibungen äl-
terer Schriftsteller zufolge, die uns vorliegen, symbolische Dar-
stellungen, die auf Gott und seine Heiligen Bezug hatten, in
Teppichen für den Fussboden anzubringen. Solche Darstellungen
und Symbole wandte man vielmehr an, um mit demselben grüssere
Teppichwerke, Hcortina", auszuschrnüeken, die bestimmt waren,
bei grössern kirchlichen Feierlichkeiten die untern Umfangsmauern
unter den Fenstern der Chorabsis und den niedern Absperrungs-
mauern, "eancelli", des engern Presbyteriums zu verdecken.
Diese letztern "Dorsalbehänge" boten den Kunstwirkern und
Kunststiekern der beregten Epoche eine erwünschte Veranlassung,
einen grössern zusammenhängenden Bilder-Cyclus, der h. Schrift
oder dem Leben der Heiligen und Kirchenpatronc entnommen,
zur Darstellung zu bringen. Der ganze engere Chorraum des
Domes zu Halberstadt, dessen Sacristei und Gewandschränke heute
noch einen grossartigen, leider ausser Gebrauch beündliehen Schatz
reich gestickter Messornate besitzt, bewahrt an den ausgedehn-
ten Absperruugswänden des innern Chores einen seltenen Kunst-
schatz von wohlerhaltenen alten Behängcn („tapeeia"), wie sie
als Dorsalbekleidung an dieser Stelle in den Stiftskirchen des
XI. und XII. Jahrhunderts nicht selten angetroffen wurden.
Trügt uns nicht ein Stylgefühl, so möchten Wir diese Teppich-
wirkereien, einzig in ihrer Art, dem XI. Jahrhundert zuweisen.
Dieselben, in Wolle gearbeitet, bringen in langer Reihe zusam-
menhängende Scenen aus dem Alten und Neuen Testamente zur
Darstellung. 2) Zweifelsohne bewahrten die reichen Stifter zu
Kürzlich waren wir so glücklich, in der hiesigen Gereonskirche eine äusserst
seltene "tapecin" aus dem Beginne des XII. Jahrhunderts zu Tage fördern
zu helfen, die unstreitig als das älteste scenerirme Gewebe zu bezeichnen
ist, des sich in dieser Technik und Composition am Rheine bis auf unsere
Tage gerettet hat. Von runden Kreismedaillons umgeben erblickt man,
immer wieder zurückkehrend, den Kampf eines vierfüssigen Ungelzhüms mit
dem geflügelten Greifen. Dieser merkwürdige Teppich, ein haute-lisse
in eigenthiimlicher Technik, ist gewirkt (fait au mezier) und nicht gestickt.
Vgl. Der Dom zu Halberstadt, von Dr. Lacanus. Im Privetbesitze dieses
Archäologen sehen wir noch einige grössere Ueberreste von gewirkten Tep-