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Abgesehen aber auch von der geometrischen im Viereck geord-
neten, bei den Mauren üblichen Eintheilung der Ornamente und
von den Syrenen, die wir auch auf andern Ornamenten dieser Zeit
in Sicilien während eines längern Aufenthalts daselbst vorgefun-
den haben, sind die vielen mehrfarbigen eingestickten Verzierun-
gen, besonders aber der immer Wiederkehrende Halbmond, deut-
liche Belege, dass die auf Tafel VI. abgebildete höchst interessante
Stickerei durch maurisehen Kunstfieiss vielleicht in jenem blühen-
den "gynaeceum" angefertigt wurde, das zur Zeit des Normannen-
Fürsten Robert Guiscard mit dem Palaste der sicilianisehen Kü-
nige in Verbindung stand und von einem höhern Hofbearnten
überwacht und geleitet wurde. Es sei uns gestattet, in Kilrze
hierorts noch einige Erläuterungen über die höchst interessante
Art und Weise zu geben, wie die maurisehen Kunststicker vor-
liegende seltene Nadelwirkerei angefertigt haben. Die fragliche
Stickerei ist angewandt zur Ornamentation einer äusserst breiten
und langen Manipel; dieselbe misst nämlich in ihrer grössten
Breite fast 18 Oentimeter, bei einer grössten Länge von 1 Meter
6 Centimeter. Sämmtliche Ornamente sind auf ziemlich grobem
Leinen so tambourirt, dass die Tambourirungen streifenweise als
goldene und farbige Litzchen neben einander liegend fortgeführt
sind. Es ist dies eine merkwürdige Technik, die, wir gestehen
es offen, nur an wenigen Stickereien uns zu Gesicht gekommen ist.
Nachdem sämmtliche Thier- und Pflanzen-Ornamente in gedach-
ter Technik ausgeführt waren, hat der Kunststieker erst begon-
nen, den Grundfond in braunrother Seide (feu) auszufüllen, und
zwar ist diese Ausfüllung in nicht zu stark gedrehter Flock-
seide mit unregelmässigen Plattstiehen, im sogenannten Flammen-
stich, bewerkstelligt worden. Hinsichtlich der immer wieder-
kehrenden Darstellung der Syrenen in dieser Stickerei, wie sie
auf der Zither mit dem Dreiklange, mit den Deckeln und auf
Blas-Instrumenten ihre zauberisehe Musik ausführen, drückt sich
der vorhin oitirte "Physiologus" also warnend aus:
„Alliciunt pene
Suasus hostiles
nautas cantando syrene
dulces Christi fuge miles."
Noch machen wir auf die prachtvoll in Gold gestickte grössere
Einzeliigur des Löwen aufmerksam, welche auf dem untern Fuss-
theile der Manipel (vgl. beifolgende Tafel VI.) kunstgerecht und
in schöner Stylisirung angebracht ist. Ob nun diese Figur an
L
bilden die gründlichen Erörterungen zu vergleichen indem trefflichen Werke
von Prof. Piper: „Mythologie und Symbolik der christlichen Kunst."