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musste er eine halberhabene Grundlage in schweren seidenen
Fäden sich präpariren, auf welcher die feinen Goldfäden fest
aufliegend befestigt werden konnten. Man sieht leicht ein, dass
diese Technik eine äusserst mühselige, jedoch auch eine sehr
dauerhafte und solide sein musste. Das Letztgesagte lässt sich
schon dadurch erhärten, dass heute, nach so vielen Unbilden
und nach Ablauf von mehr als sechshundert Jahren, der Gold-
und Silberfaden noch seinen Glanz und die Stickerei ihren Zu-
sammenhang nicht verloren hat.
Auch die auf Tafel VI. charakteristisch wiedergegebene Sticke-
rei veranschaulicht uns die bereits fortgeschrittene manuelle Fertig-
keit maurischer Künstler, und zwar düPftC, Wenn IInS nicht alle
Anzeichen trügen, dieses ebenfalls in unserer Sammlung be-
findliche Kunstwerk gegen Schluss des XI. Jahrhunderts im
südlichen Spanien, eher aber auch, wie es auf der reich ge-
stiekten "praetexta" der Kaiser-Albe heisst: „in feliee urbe Panor-
mi" angefertigt worden Sei, Zu dieser Annahme verleitet uns
nämlich die geometrisch geordnete Eintheilung der Ornamente,
die sich überall bei sarazenisehen ähnlichen Kllnßtitvßrkßn COnSG-
quent wiederfindet; mehr aber noch die eigenthümliche WVahl der
Gegenstände, wie sie der muselmännisehe Kunststicker da anzu-
wenden besondere Veranlassung fand, wo die Mythologie des
klassischen Alterthums die Allegorie der Scylla und Charybdis
hingcpflanzt hatte. Bekanntlich setzte das Alterthum diese ver-
lockenden Syrenen mit ihrem verführerischen, die Schiffer be-
täubenden Gesange in jene Meerenge von Messina, die das Fest-
land Italiens von Sieilien trennt. Wenn nun auch den Moslemin
durch den Koran untersagt war, Gestalten von Menschen und
Thieren bildlich wiederzugeben, so wusste er doch diese Vor-
schrift dadurch zu umgehen, dass seine Kunst Bildungen schuf,
die nicht in der WVirklichkeit existirten, sondern dem Mythus
des Heidenthums angehörten und die er auch nicht selbst brauchte,
sondern für den Welthandel anzufertigen vorgab. Vvas Wlunder
also, wenn er, in unmittelbarer Nahe des Ortes wohnend, wo
nach der Vorstellung der Alten jene gefährlichen Seeweibchen
hauseten, in seinen Stickereien diese harmlosen Bildungen von
halb Thier und halb Weib anzubringen sich aufgelegt fühlte,
die bei der mystischen Richtung der damaligen Zeit die Physiologen
des Abendlandes für moralisirende Zwecke zu gebrauchen wussten. 1)
Vgl.
22.
"de Sirenis" in dem oben gedachten Physiologus von Dr. HeidegSeite
Auch sind über die Bedeutung der Syrenen III christlichen Kunstgg-