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bildung, wie man sie an den indischen Götzenbildern und Ge-
staltungen antrifft, welche der Lehre des Zoroaster und der
indischen Götterlehre angehören. Ücber dem aufgesperrtcn Rachen
der beiden Drachenköpfe gewahrt man, aus dem Laubwerk sich
entwickelnd, zwei Rachen von andern Thiergestalten, die eine
menschliche Figur schon zur einen Hälfte verschlungen haben.
Ob diesen mysteriösen Darstellungen eine tiefere Symbolik und
welche beizumessen sei, wagen wir vorläufig nicht zu bestim-
men. Uns hat es geschienen, als 0b der Kampf des Menschen
mit dem bösen, niedern Prineip hier veranschaulicht werde. In der
einen Darstellung unterliegt der Mensch in dem Kampfe gegen
die Sünde und wird ein Opfer seiner bösen Leidenschaft; in
dem obern Theile aber bezwingt der Mensch das Böse und be-
herrscht es als Sieger. Da noch lange Zeit vergehen dürfte, ehe
das schwierige Capitel der mittelalterlichen Thiersymbolik gehörig
erforscht und aufgeklärt ist, 1) so würde es uns nur erwünscht
sein können, wenn eine mehr begründete Deutung der in Rede
stehenden symbolischen Darstellungen von competenter Seite
geliefert würde. Für unsern vorliegenden Zweck ist zunächst
die technische Ausführung von grösserm Belange, als die Deu-
tung der originellen Figurationen. Damit nämlich der unter-
legte leichte Scidenstoff ohne Dessins nicht durch den scharfen
durehgezogenen Gold- und Silberdraht verletzt und auf die
Dauer durchschnitten würde, hat der vorsichtige Sticker, der
zugleich auch sein reiches Goldmaterial schonen wollte, eine
Technik des Stiekens einzuhalten gesucht, wodurch die zarten
Metallfäden theils aus Silber, theils in starker Vergoldung, ohne
durchzuziehen auf der Oberfläche des rothen Seidenstoffes be-
festigt wurden. Er hat seine biegsamen Goldfaden, wie auch die
Zeichnung andeutet, immerfort von der einen Seite nach der andern
umgebogen, sie dicht nebeneinander gefügt, und sie auf beiden Seiten,
da WO sie nämlich umgebogen sind, mit einem zarten Seidenfaden in
einzelnen Stichen auf der rothseidenen Unterlage befestigt. Ehe
aber der Sticker diese Ümbiegung und Befestigung der Gold-
faden jedesmal an den äussern Rändern vornehmen konnte,
Ein Anfang zur wissenschaftlichen Begründung der Thiersymholik und ihrer
moralischen Nutzanwendung ist dadurch eingeleitet, dass in letzter Zeit ältere
Physiologen, wie sie sich noch in Klosterbibliotheken befinden, herausgegeben
und mit erklärenden Noten begleitet worden sind. Wir verweisen hier im Vor-
beigehen auf den sehr brauchbaren Physiologus des XI. Jahrhunderts, her-
ausgegeben und erläutert von Dr. G. Heidcr, mit 5 Tafeln. Wien 1851, in
der k. k. Hof- und Staatsdruckerei.