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Occidents den geschickten Künstlern des morgenländischen Kaiser-
thums für den häufigen Bedarf an reichern Pontificalgewätndern zins-
pflichtig waren, und wie venetianische Kaufleute, sehr häufig aber
auch Juden, die Veranlassung und die Brücke boten, dass solche
Kunstschätze des Orients in die Sacristeien der Kathedralen des
Occidents über Meer eingeführt wurden. Gleichwie ferner Byzanz,
Alexandria, Damascus, Jerusalem vor und nach der Epoche der
Kreuzzüge die Stapelplätze bildeten, wo Kauffahrer, Handelsleute
und reiche Pilger ihren Bedarf an kostbaren Seidengeweben und
Stoffen hernahmen, so waren auch jene eben genannten vielbe-
suchten Handelsplätze im XI. und XII. Jahrhundert bekannte
Fundorte, wo byzantinische, arabische und persische Stickereien
von grossem Reichthum und grosser Kostbarkeit für Ausstattung
der gottesdienstlichen Gewänder und Bekleidungen von den auf-
blühenden Kirchen des Abendlandes vielfach begehrt wurden.
Aber nicht nur der Orient bot in seinen reichen Gold- und Perl-
stickereien, meist ohne sein Vorwissen, den bischöflichen Kirchen
des Abendlandes die Gelegenheit dar, die Feier der h. Geheim-
nisse durch kunstreich gestickte Gewänder verherrlichen zu hel-
fen, sondern auch die Mauren im südlichen Spanien und die Sa-
razenen in Sicilien und Calabrien waren gegen Schluss des XI.
Jahrhunderts unausgesetzt in Thätigkeit, für den grossen Welthandel
kostbare gestickte Arbeiten anzufertigen, die nicht nur an den
Höfen der Fürsten sehr gesucht und mit hohen Preisen bezahlt
wurden, sondern die auch in der Hand der Kirche für Cultzwecke
eine manchfache Anwendung fanden. In der ersten Abtheilung
des vorliegenden Werkes, worin wir die Geschichte der W e-
berei zu kirchlichen Zwecken ausführlicher nachgewiesen haben,
haben wir den Beweis beizubringen gesucht, dass schon vor
dem XI. Jahrhundert in dem muselmännischen Spanien und auch
bei den Sarazenen in Sicilien auf dem Gebiete der Seidenwe-
berei bedeutende Fortschritte erzielt worden waren. Längere
Forschungen haben uns nun zu der Einsicht geführt, dass im
Mittelalter mit der kunstreichen Weberei von Seidenstoffen auch
die Anwendung und Entwickelung der Stickerei gleichmässig
Hand in Hand ging, so zwar, dass in vielen Fällen Stickerei
und Weberei sich gegenseitig ergänzten und in der Regel die
Stickerei das mit der Nadel auszuführen und nachzuholen be-
strebt war, was der Webstuhl, die Maschine, aus technischen
Gründen noch nicht darzustellen vermochte. So ist auch in dem
nhötel de tiraz", dessen Einrichtung und künstlerische Erzeugung
Von reichen Seidenstofien wir in dem ersten Theile ausführ-