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Gewandreste aufgenäht, so dass die alten zerrissenen Theile sich
noch alle erhalten hatten. Bei einer genauern Durchsicht dieser des-
sinirten Seidengewebe von weisser Farbe, reiche Thier-Muster ent-
haltend, wie sie kreisförmig eingefasst im X. und XI. Jahrhundert
gang und gäbe waren, ergab es sich, dass dieses Gewand, wie die
Tradition angab, wirklich die Tage Heinrichs II. gesehen haben
konnte. Für unsern vorliegenden Zweck erwähnen wir besonders
die kürzliche Wiederauffindung dieses interessanten Kaisergewandes,
da der untere Rand desselben, „limbus, gyra", mit einer auch
technisch äusserst merkwürdigen Goldstickerei verbrämt ist. Auf
diesem ziemlich breiten Umfassungsrande, der um das ganze Ge-
wand geführt ist, befinden sich nämlich, von Kreisniedaillons, die
sich an einander schliessen, eingefasst, eine lNIenge thiersymboli-
scher Ornamente in Form von geflügelten Drachen. Sowohl diese
Umfassungen, als auch sämmtliche ornamentale Darstellungen
waren ehemals erhaben aufliegend in Perlschnüren ausgeführt.
Leider sind, wahrscheinlich bei Aufhebung des Hochstiftes Bam-
berg, diese echten orientalischen Perlen entfernt worden, so dass
man heute nur noch in weissen Schnüren von Leinen die Unter-
lage sieht, auf welcher früher eine Menge von Perlen in ziem-
licher Grösse befestigt waren, Auch die Unterlage, auf Welcher
sich diese Perl-Ornamentationen befanden, ist höchst kunstreich in
Gold und rother Seide in einer Weise gestickt, dass es heute
schwer fällt, die technische Einrichtung dieser reichgestickten gol-
denen Unterlage genügend zu kennzeichnen. Dieser breite ge-
stickte Rand der Kaiser-Albe IIeinrichfs II. im königl. Museum
zu München ist geeignet, sich eine adäquate Vorstellung zu machen,
nicht nur von dem Reichthume und der Kostbarkeit hervorragen-
der gestickter Gewänder dieser Zeit, sondern auch insbesondere
von den eigenthümlichen naturhistorisch figurirten Mustern, womit
die "periclysist" an kirchlichen Gewändern, Vorhängen, Atltarbeklei-
dungen, der Aufzählung des Anastasius Bibliothecarius zufolge,
sehr oft ausgestattet war, Bei der fortgeschrittenen Entwicke-
lung, welche die Stickerei zu kirchlichen Zwecken, namentlich
gegen Mitte und Schluss des XI. Jahrhunderts erfahren hatte,
wäre es hier wohl an der Zeit, die Nachfrage anzustellen: welche
Städte vorzugsweise in der angegebenen Epoche sich für Anfer-
tigung der Kunstwerke höherer Stickerei den Rang streitig mach-
ten? Wie wir im Vorhergehenden schon angeführt haben, war
lange schon vor dem X. Jahrhundert jede grössere weibliche Be-
nedictiner-Abtei als eine friedliche und gesicherte Arbeitsstätte zu
betrachten, aus vvzelcher, um die Feier der heil. Geheimnisse wür-