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den kaiserlichen Träger des Gewandes enthält. Leider hatte auch
an diesem Prachtgewande der schwere dunkelviolette Purpur-
stoff sehr gelitten, so dass im XV. Jahrhundert särnmtliche
Goldstickereien ausgeschnitten und auf gemusterten dunkelblauen
Seidendamast übertragen wurden. Bei diesem Ausschneiden und
Uebertragen hat die Stickerin die untern grossen Buchstaben
des Saumes nicht als Insehriften, sondern mehr als Ürnalnente
betrachtet, und sie nicht in der richtigen Reihenfolge, so dass
sie einen Sinn abgeben, Wieder aufgenäht. Diesen Umstand ha-
ben die Bollandisten übersehen, die in der „Vita sancti Henrici"
(vgl. acta sanct. des 21. Juli) diesen Lobspruch in folgender WVeise
mittheilen: "O decus Europae Caesar Henrici beare angeat im-
preium". Mit Umstellung einiger Buchstaben erhielten wir statt
dieser, keinen Sinn ergebenden Inschrift, folgende Lesung, die
einen Gedanken in sich schliesst: „O decus Europae Caesar
Henrice beate, augeat imperium tibi rex". Leider ist es uns,
da die Zeit dazu fehlte, nicht gelungen, durch Versetzung der
verkehrt aufgenäheten Buchstaben auch das Ende der zweiten
noch fehlenden Hälfte des leoninisehen Verses festzustellen. Nach
orientalischer Sitte, welche seit dem höchsten Alterthume auf
den Säumen der fürstlichen Gewänder Lobsprüche auf den be-
treffenden Herrscher zu sticken pflegte, feiert auch das vorlie-
gende Legendarium den Ruhm desjenigen, für den das Gevrand an-
gefertigt wurde, nämlich Kaiser Heinrichis II., und schliesst wahr-
scheinlich mit dem lrVunsche, dass der König der Könige seine
Herrschaft dauernd erhalten und erweitern möge. Die Art der Sticke-
rei an diesem unvergleichlichen Kaisermantel ist dieselbe, wie an
dem ilngarischcn Krönungsmantel und dem eben vorher beschrie-
benen "paludamentum" ; es ist nämlich über einem Seidenfaden ein
dünnes Goldlamen gesponnen und sind die Goldfäden neben ein-
ander liegend mit dünnen Seidenfäden in sehr kleinen Zwischen-
räumen auf dem Grundstoffe, einen dunkelvioletten Seidenpurpur,
aufgeheftet. Nur wenige kirchliche Stickereien von solcher Aus-
dehnung mögen sich heute in Sacristeien von Kathedralen des
Occidents. erhalten haben, die, aus dem Beginne des XI. Jahr-
hunderts stammend, 1nit den zwei im Vorhergehenden beschrie-
benen kostbar gestickten Kaisergewändern zu Bamberg und mit
dem Krönungsrnantel der ungarischen Könige im kaiserlichen
Schlosse zu Ofen einen Vergleich aushalten könnten. Auch fin-
den sich unseres Wissens nach keine Stickereien aus der eben
angedeuteten Epoche mehr vor, deren Alter und Ursprung sich
so sicher feststellen liesse, wie das an den beiden vorbezeichneten