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eine geraume Zeit, bis auch für tigürliche scenerirte Darstellungen
die typischen, von den Byzantinern ererbten Formen in der bil_
denden Kunst, und namentlich bei grössern figürlichen Stickereien
vollständig das Bürgerrecht verloren und als antiquirt bei Seite
geschoben Wurden; bei ornamentalen, der vegetabilischen und
animalischen Schöpfung entnommenen Darstellungen machen sich
jedoch schon gegen Ende des XI. Jahrhunderts sowohl auf dem
Gebiete der lnitial- und Ornamental-Malerei als auch auf dem
der decorativen Stickerei selbstständige Imiißnaiß Eilliiüsße und
Gestaltungen bemerkbar. Je mehr nun die WVand- und Flächen-
Malerei im Dienste der Kirche sich zu entwickeln beginnt, desto
mehr fühlt sich auch die Stickerei durch die iVißißfßi bedingt, und
von derselben abhängig, zu grössern scenerirten Leistungen zur
Belebung weiter Bllächen vorzüglich an lifurgiSßhen Gewändern,
Vorhängen, Teppichen etc. aufgelegt, Als die älteste und zu-
gleich grossartigste kirchliche Stickerei, die 11118 auf längere F01"
schungsreisen zu Gesicht gekommen ist, nennen Wir in erster
Reihe den altehrwürdigen Krönungsmantel der Könige von Un-
garn, jene "casula", die die kunstsinnige Königin Gisela, Gemahlin
Stephans des Heiligen, mit eigenen Händen angefertigt hat. Die-
ses Prachtwerk kann als Beweis angeführt werden, dass, Wie Oben
gesagt, schon mit dem XI. Jahrhundert die kirchliche Stißkkuflst
sich grossartiger und selbstständiger im Occidente zu entfalten be-
gann. Glücklicher Weise hat sich auf derselben, in orientailßßhem
Gold gestickt, eine detaillirte Inschrift unverletzt erhalten, die uns
vollständige Sicherheit hinsichtlich der Entstehungszeit dieser
Perle frühromanischer Stickkunst darbietet 1) Einer Allerhöch-
sten grossmüthigen Erlaubniss Sr. K. K. Apostol. Majestät des
Kaisers von Oesterreich ist es zuzuschreiben, dass es gnädlgst
gestattet wurde, eine besondere Eröffnung des ungarischen
Kronschatzes auf dem kaiserlichen Schlosse zu Ofen böhufs der
archaeologischen Copirung der einzelnen Kroninsignien eigens zu
veranstalten. Bei dieser Gelegenheit haben W11", unterstützt Voll
geübten Zöglingen der höhern Gewerbschulle zu Pesth, zum er-
sten Male eine genaue Durchpause der vielen figürlichen und
ornamentalen Darstellungen auf dem altehrwürdigen Üriginale in
natürlicher Grüsse mit ängstlicher Gewissenhaftigkeit vorneh-
men lassen. Der Director der k. k. Hof- und Staatsdruckerei,
Diese in frühromauischen Majuskeln gestickte Inschrift lautet: „Casu1a hec
data er operam esl: Eeclesie Sße. Marie sice in civitace Alba. anno abincar-
natione Christi MXXXI, indictione XIV a Stephano rege et Gisla. reginßu"
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