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III.
RELIGICESE
STICKEREIEN
SEIT
DEN
ZEITEN
OTTUS
III.
BIS
ZUM
IN TERREGN UM.
(SPZETROMANISCI-IE
KUNSTPERIODE.)
In der vorhergehenden Epoche trat die Stickerei, sich kümmer-
lich nährend, was das Technische betrifft, von den noch spärlich
erhaltenen Reminiscenzen der alten „phrygiones" des klassischen
Zeitalters, manchmal bescheiden und schüchtern auf, zumal auch die
"Malerei, die Vorgängerin und sozusagen die Lehrerin der Stick-
kunst, noch nicht zu einer gewissen Selbstständigkeit und höhern
Entwickelung es gebracht hatte. Auch war die Stickkunst in dem
karolingischen Zeitalter, das sowohl diesseit als auch jenseit der
Berge den von anhaltenden, verwüstenden Kriegen schon lange
brach liegenden Garten der Kunst kaum wieder zu bebauen begon-
nen hatte, noch zu sehr hinsichtlich der Composition und Technik
an vorliegende typisch-hierarchische Vorbilder gebunden, als dass
an eine höhere Vollendung der Stickerei zu liturgischen Zwecken
in der vorhergehenden Epoche hätte gedacht werden können.
Man könnte deswegen mit Recht den im Vorhergehenden
bezeichneten Zeitabschnitt, von der Erhebung des Christenthums
zur Staatsreligion unter Constantin bis zu den Zeiten des dritten
Qttofs, die Kindheitsepoche der Kunst der freien Nadelarbeiten
benennen, in welcher dieselbe, geführt am Gängelbande zweier
altersschwachen Lehrmeister, sich hinsichtlich der Technik, wie
vorher bemerkt, an die überlieferten altrömischen Regeln und
rücksichtlich der Composition an byzantinische Vorbilder anlchnte.
Bereits mit dem Schlusse des XI. Jahrhunderts waren vielfach
die frühern kunstlosen Nothbauten, meistens aus Holz, verschwunden,
und von warmem Glaubenseifer beseelt, sah man diesseit der
Berge gi-össere und kleinere Steinbauten zu Ehren des Höchsten
entstehen, die hinsichtlich ihres Styles sich wohl an das in Italien
aufgestellte Mustervorbild der römischen Basilika umschlossen.
Doch aber machte sich in diesen Bildungen, besonders im Orna-
mente, ein gewisses Streben nach Selbstständigkeit und eine ab-
weichende nationale Ausprägung der Formen geltend. Auch die
WVand- und Miniaturmalerei und mit ihr die zu Ansehen und
vielfacher Anwendung gekommene Stickkunst hatte sich noch
nicht von den überlieferten Fesseln völlig los zu machen gewusst,
sondern der neu erwachte jugendliche Formentrieb versuchte es
Anfangs noch unbeholfen auf verschiedene Art, statt des ver-
knöcherten überlieferten Formengesetzes von Byzanz neue lebens-
vollere Formen zuwege zu bringen. Zwar dauerte es 110011 immer