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DIE
STICKEREI
IM
DIENSTE
DES
ALTARS
VON
DER
APOSTOLISCHEN
BIS
ZEIT
ZUM JAHRE 1000.
(FRUEHROMANISCHE
KUNSTEPOOHE.)
Aus dem Vorhergehenden mag zur Genüge erhellen, in wie
grossem Umfange man schon im klassischen Alterthuine sich rei-
cher Stoffe bediente, die durch Nadelwirkereien kunstvoll ausge-
stattet waren, desgleichen welchen hohen Grad von Vervollkomm-
nung auch in technischer Beziehung die Kunst des freien Hand-
stickens, namentlich im Zeitalter der Caesaren erreicht hatte. WVie
überhaupt die erste auflebende Kunst des Christenthums auf der
gegebenen Grundlage der heidnischen Kunst, vielfach auf den
Ruinen derselben basirt war, so kann dasselbe auch mit vollem
Rechte von der Stickkunst zu kirchlichen und profanen Zwecken
in den frühesten christlichen Zeiten behauptet werden. Unter
Oberleitung der Architektur hatte der Luxus der Kaiser und
ihres Hofes die Malerei, Sculptur und die übrigen bildenden
Künste in Sold genommen, und lässt es sich nicht in Abrede
stellen, dass alle Detailkünstc, die eine manuelle Fertigkeit erfor-
derten, bei der Genusssucht der damaligen verdorbenen vorneh-
men Welt einen hohen Grad der technischen Vollendung erreicht
hatten. Dasselbe kann auch von der Entwickelung und Vervoll-
kommnung der Stickkunst mit Fug angenommen werden, sogar in
jener Zeit, als das im Verborgenen aufblühende Christenthum diesen
Kunstzweig zu seinen religiösen und profanen Zwecken von dem
bereits in Auflösung übergehenden Heidenthume übernahm. Dass
das Christenthum sich bereits in den drei ersten Jahrhunderten
sogar zur Ausstattung seiner Profangewänder der „phrygisehen
Arbeiten" im grossartigen Umfange bediente, geht aus einer Stelle
eines altern griechischen Schriftstellers, des heil. Asterius hervor, 1)
der in seinen „Orationes et Homiliae . . De Divite et Lazaro"
anführt, dass die Toga eines christlichen Senators 'zuweilen mit
600 Figuren und bildlichen Darstellungen ausgeschmückt gewesen
sei. Die Kunst der "Phrygiones" damaliger Zeit hatte in diesem
reichen Gewande bildlich darzustellen gewusst alle Hauptmomente
aus dem Leben des Heilandes: die Hochzeit zu Cana, die Auf-
erweckung des Lazarus und die übrigen Wunder, welche der
Herr gewirkt hatte. Die Vorliebe für reich gestiekte Stoffe und
Feierkleider, die in den ersten drei Jahrhunderten den zum Chri-
1) S. P. Astcrii Orationes et homiliae opcra ac studio R. P. Fr-
Francisci Combesis etc. Parisiis, sumpt. Ant. Bertier MDCXLVIII. in fol.
tom. I, pag. 3 D.