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der aus dem Schluss des XV. und Beginn des XVI. Jahrhunderts
wird sich Gelegenheit bieten , die letzte Periode der 1nittelalterli-
che11 Sammetfabrication in Spanien und Italien" zur Zeit CarPs V.
zur Sprache zu bringen und durch einige Abbildungen zu er-
läutern.
Im Vorstehenden haben Wir es Versucht, wenn auch nur in
flüchtigen Umrissen, unter Hinzufügung charakteristischer Zeich-
nungen, nach den in unserer Sammlung befindlichen Original-Stof-
fen, eine geschichtliche Uebersicht des Entwickelungsganges der
Weberei edler Stoffe zunächst für liturgische Zwecke zu entwer-
fen. Es mag am Schlusse dieser Ilebersicht gestattet sein, noch
in Kürze darauf hinzuweisen , Welchen grossen Einfluss die We-
berei kostbarer Zeuge nicht nur in Hinsicht auf die formelle und
ästhetische Ausstattung der verschiedenen Cultgewändcr, sondern
auch in Rücksicht auf den Entwiekelungsgang der Sculptur und
lllalerei ausgeübt hat.
Vielen mag die Behauptung in etwa gewagt erscheinen, dass
die Seulptur und Malerei des hlittelalters durch die WVeberei in etwa
bedingt war. In dem Maasse nämlich, wie die Weberei zu grösse-
rer Vollkommenheit sich entfaltete, in demselben Grade ging auch
die Sculptur und Malerei einer grössern Entwickelung entgegen.
Seulptui- und Malerei hat bei Darstellung von menschlichen Figu-
ren eine zweifache Aufgabe: die anatomisch plastische Darstel-
lung sichtbarer körperlicher Formen und die Anordnung der Ge-
Wandmassen.
Die heidnische Kunst, deren Bestreben darauf gerichtet war,
auf den Sinnenmenschen zu wirken durch Darstellung des natür-
lich Schönen, liebte es, den Menschen in seiner Nacktheit nachzu-
bilden: das Ideal der elassisehen Kunst. Deswegen kömmt in der
griechischen bildenden Kunst die Drapiruug der Gewänder, 1) die
Darstellung der Stoffe nicht so zur Geltung, wie das namentlich
in der byzantinischen und germanisch christlichen Kunst der Fall
ist. Die christliche Kunst hatte ein unvergleichlich höheres Ideal
sich gestellt; sie suchte nicht irdisch, sinnlich zu wirken , sondern
sie wollte den Menschen durch ihre Productionen für das Ueber-
irdische, Himmlische stimmen und empfänglich machen. Ihre Dar-
w
Selbst bei Anwendung von Gewändern in der römischen Kunst-Epoche war
das Bestreben der Künstler darauf gerichtet, die körperlichen Formen unter
dem leichten {liegenden Gewande möglichst hervortreten zu lassen; deswe-
gen bediente der Bildhauer und Maler sich bei Anlegung seiner Kunst-
schöpfungen dünner StoiTe, die nass um das Modell in zierlichem Gefälte
geordnet wnrdem