Volltext: Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters oder Entstehung und Entwicklung der kirchlichen Ornate und Paramente in Rücksicht auf Stoff, Gewebe, Farbe, Zeichnung, Schnitt und rituelle Bedeutung nachgewiesen und durch zahlreiche Abbildungen erläutert (Bd. 1)

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So hat man in neuerer Zeit mehrere kostbare Stoffe dieser 
Art bei Eröffnung von alten bischöflichen Gräbern in guterhaltenem 
Zustande vorgefunden. So wurde auch vor wenigen Jahren (las 
Grab Kaiser Carlis IV. in einer der Pfarrkirchen zu Prag im 
Beisein hochgestellter Personen feierlichst eröffnet. Die sterblichen 
Ueberreste jenes Kaisers, der aus Prag ein deutsches Rom zu 
schaffen traehtete, fand man umgeben von einem schweren {igurir- 
ten Sammetstoffe mit Gold brochirt, der in einzelnen Bruchstücken 
den Einflüssen der Verwesung Widerstand geleistet hatte. 1) Den 
Tiefgrund bildet ein dichtes Satin-Gewebe von dunkelbrauner 
Farbe. Auf diesem glatten Fond erblickt man als wiederkehrendes 
Dessin einzelne kleinere Zweige, Welche gleiehmässig Blätter und 
Blüthen von schöner Stylisirung entsenden. Dieses Zweig- und 
Blatterwerk (ramages), ein dichtes Sammetgewebe von schwarzer 
Farbe, treibt oben eine Blüthe in Form eines beerenförmigen 
F ruchtkolbens, der auf dem Satinfond in Gold brochirt ist. 
Ein ähnliches Gewebe, das mit dem eben beschriebenen Stoffe 
vom Kaisermantel CarPs IV. in Bezug auf Technik und Zeichnung 
viele Analogien hat, und ebenfalls aus der letzten Hälfte des XIV. 
Jahrhunderts herrührt, fanden wir in der, an mittelalterlichen Or- 
naten äusserst reichhaltigen Sacristei der Liebfrauenkirche zu Dan- 
zig,  ein grossartiges Bauwerk der Grossmeister der deutschen 
Ordensritter im XIV. Jahrhundert. Dieses Gewebe bildete den 
Oberstoff einer Pluviale, die als Futterstoff ein nicht minder merk- 
würdiges Zeug von blauem Plüsch zeigte, (las jedenfalls ältern Da- 
tums ist. Der Fond dieses vielfarbigen Gewebes an der in Rede 
stehenden Pluviale besteht aus einem hellrothen feinen Satin; auf 
demselben erheben sich in stehendem seegrfinen Sammet einzelne 
Zweiglein mit ih1'en Blättern reihenförmig geordnet, die nach bei- 
den Seiten kleine rothe und weisse Blümchen entsenden. Der eben 
beschriebene figurirte Sammetstoif, so wie der vorhergehende an 
dem Kaisermantel CarPs lV., sind Belege von der hohen techni- 
schen Vollendung der dessinirten Samrnetivebereien im XIV. und 
XV. Jahrhundert,  Bei Beschreibung der kirchlichen Gewän- 
 
Der überaus gefälligen Zuvorkomrnenheit eines Freundes, der der Eröffnung 
beiwohnte, verdankt unsere Sammlung ein Bruchstüek dieses sehr merkwür- 
digen Gewebes. 
Nächst der Cither der Domkirehe zu Halberstadt möchte nicht leicht in 
Deutschland eine Saeristei zu finden sein, die einen solchen Schatz an mit- 
telalterlichen Cultgeirvändern aller Art in den reichsten Seiden-, Silber- und 
Guldstoßen aufzuweisen hätte, wie die Gewandsehrünke der Liebfrauenkirche 
zu Danzig.
	        
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