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nur noch wenige erhalten. Wie überhaupt die altern liturgischen Ge-
wänder mit historisch figurirten Dcssins aus Gründen, die in Folgendem
ausführlicher besprochen werden sollen, heut zur Seltenheit gehö-
ren; so waren bei den Sammetstoffen noch mehr Gründe obwal-
tend, weswegen dieselben, wenn sie älter und schadhaft geworden
waren, zu andern Zwecken in der Kirche verbraucht wurden. Es
konnnen nämlich bei liturgischen Schriftstellern Hindeutrlngen vor,
aus denen sich folgern lässt, dass man sich hitufig des Sammets
bediente zu untergeordneten Zwecken, zu welchen ein solider fe-
ster Stoff erforderlich war. So wurden schon seit dem XII. Jahr-
hundert die Deckel der Evangeliarien und Missalien mit Sammet
überzogen , auch die Schuhe , welche der Bischof bei feierlichen
Pontifiealitmtern gebrauchte, waren meist von schwerem Sammet.
Ferner waren nicht nur die Vorhänge des Altars (vcstes, te-
gulnerlta, pallia altaris), sondern auch häufig die Kirchenfahnen
und Banner aus Sammet. Endlich Enden sich auch häufig, der
Haltbarkeit wegen, die Polster und Kissen zum Knieen (pulvinar,
cussinum), so wie die Kissen, auf welchen bei der Darbringung
des h. Messopfers das Messbuch ruhte (pulpiturn) häufig aus ro-
them oder blauem Sammet angefertigt.
Mit dem XIV. Jahrhundert hatte sich, wie im Vorhergehen-
den nachzuweisen versucht wurde, in den freien Städten des nördlichen
Italiens eine neue Aera für die Seidcnmanufactur Bahn gebrochen.
Auch die Fabricatioil des Sammets war dadurch in ein neues Sta-
dium getreten. Bisheran war der Sannnet meistens „uni" gehalten,
d. h. er war einfach ohne alle Dessins gearbeitet; auch liess manch-
mal das Technische in der Anfertigung noch eine grösscre Per-
fection zu wünschen übrig. Nachdem aber Lucca, Genua und Flo-
renz sich gegenseitig in Anfertigung der schönsten Sammetstoflc
Coneurrenz machten , trat allmälig mehr und mehr der leichte,
dünne Sammet, in TVeise unseres heutigen „leichten Velours" gearbei-
tet, in den Hintergrund, und es kam in Aufnahme jenes schöne, solide
Fztbrieat, mit dicht und niedrig geschnittenem Einschlag, das heute
noch, ilach mehr als 400 Jahren, seine Haltbarkeit trefflich be-
währt. Im Laufe des XIV., mehr aber noch im XV. Jahrhun-
dert erschienen in der Sammet-Fabrieation , die jetzt eine grosse
Perfection erreicht hatte, die faconnirten Stoffe. Der einfache Sam-
met wurde jetzt häufig mit reichen Goldmustern brochirt, meistens
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In der äusserst reichhaltigen Cithcr der Domkirche zu Halberstadt haben sich
solche bischöfliche Fussbcdeckungen (sanda1ia,calccamenta), die nur noch sel-
ten anzutreßen sind, in Rothsammet erhalten.