französischen und flandrischen Seidenmanufactur das früher be-
zeichnete altdeutsche Motiv, wenn auch in oft gewagten Modifiica-
tionen noch eine Zeit lang.
In dem zweiten Viertel des XVI. Jahrhunderts hatte jedoch
die über die ISerge gekommene Renaissance den überlieferten hei-
mathlichen Kunstforrnen, zuerst in Frankreich und darauf in Deutsch-
land, den Verniehtungskrieg erklärt, und von jetzt ab verschwin-
den allmälig in den Seidengeweben, diesseits der Alpen angefertigt,
die letzten Reminiscenzen der angestammten germanischen Orna-
mentationsweise. Aber der scheinbar wiederbelebten heidnischen
Kunst auf christlichem Boden fehlte durchaus ein natürliches Le-
benselement. Und weil eben die „neugebackene Kunstweise" nicht
naturwüehsig aus dem Volke hervorgegangen war, so artete sie
sogleich nach ihrem Entstehen schon aus und fing an, ihre geistige
Leere und Dürre fühlend, eklektisch zu werden, d. h. sie suchte sich
mit fremden Federn zu schmücken und imitirte mit mehr oder
weniger Glück bald byzantinische, arabische, persische und egyp-
tisehe Formen. Dieser lWIangel eines stetigen Princips, aus wel-
chem sich, wie aus einemfrisch sprudelnden Quell, immerfortneueun-
ter sich verwandte Formen entwickeln, zeigt sich auch deutlich
in den Zeichnungen der Seidengewebe, sogar für kirchliche Zwecke,
in der letzten Hälfte des XVI. Jahrhunderts, mochten sie nun dies-
seits oder jenseits der Berge ihr Entstehen gefunden haben.
Korinthisehe, etrurische, römische Pflanzenornamente wechseln
unaufhörlich mit meist misslungenen Nachbildungen byzantinischer,
arabischer, maurischer und anderer orientalischer Vorbilder. Kurz,
den Dessinateurs der Renaissance war für ihre Coneeptionen das
selbstbewusste, in sich abgeschlossene System abhanden gekom-
men, aus dem die Formationen der Gothik und Romantik le-
bensfrisch emanirten, und statt des frühern productiven Schaffens
beim Entwurf von neuen Mustern, quälte man sich ab mit geist-
loser Nachaffting fremder unverstandener Bildungen. J e reicher nun
bei Schluss des XVI. Jahrhunderts in Bezug auf Material und
ltlarbenhäufung, namentlich zu liturgischen Zwecken, die Seiden-
gewebe werden, desto geist- und phantasieloser werden sie in Hin-
sicht der YVahl und Anhäufung regelloser und schwülstiger Dessins.
Das Zuletztgesagtc mag genügen, um die vielen Schwierigkeiten
anzudeuten, die einer chronologischen Bearbeitung der Geschichte der
Seidenmanufactur nach Ablauf des Mittelalters für liturgische Zwecke
sich entgegenstehen dürften; eine solche auch nur in kurzen Umrissen
zu skizziren liegt ausserhalb der Grenzen der vorliegenden Aufgabe ;
jedoch werden wir an einer andern Stelle vorübergehend Gelegen-
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