Maler.
Die
lich übertragen werden. Erinnern wir uns aber, wie in der griechischen Kunst
für bestimmte Arten des Ausdrucks, der Affecte, des Handelns sich bestimmte
Formen der Darstellung in Mienen, Haltung, Bewegung, gleichsam wie eine
feste Terminologie in der Sprache, ausgebildet haben, so dürfen wir vermuthen,
dass der Einfluss des Parrhasios gerade auf diesem Gebiete vermöge seiner
ganzen künstlerischen Eigenthümlichkeit höchst bedeutend und selbst maass-
gebend sein musste. Hieraus erklärt sich vielleicht auch, weshalb gerade bei
Parrhasios erwähnt wird, dass die Künstler aus der Benutzung seiner Studien
mannigfachen Vortheil zögen. Denn eben an den einzelnen in ihnen gesam-
melten und niedergelegten Beobachtungen der feinsten Züge und Motive konnten
115 die Künstler lernen, auf welchen Vorbedingungen die Möglichkeit dieser scharfen
und eingehenden Charakteristik beruhte, welche seinen Gestalten jenes hohe,
gewissermassen kanonische Ansehen verlieh.
Halten wir also die Thatsache fest, dass die Eigenthümlichkeit des Parr-
hasios auf der scharfen Auffassung und feinen Durchführung des Psychologi-
schen in den Charakteren beruhte, so wird dadurch seine Stellung in der Ent-
wickelungsgeschichte der Kunst sehr bestimmt bezeichnet. Während Polygnot
in seinen Gestalten vor Allem das Ethos, den bleibenden, dauernden Grund-
charakter darzustellen und denselben durch einfache, aber um so klarer und
schärfer gefasste Formen zum Ausdruck zu bringen strebte, ging Parrhasios
ganz im Gegensatz dazu von der Beobachtung der einzelnsten und vorüber-
gehendsten Züge aus. Aber so scharf auch seine Beobachtungsgabe sein mochte,
so war doch sein Ausgangspunkt mehr ein äusserlicher, als ein auf tieferer Er-
kenntniss der innern Gründe beruhender, wie bei Polygnot, der überall das von
ihm zur Anschauung gebrachte Ethos als ein nothwendiges, aus einer einheit-
lichen Idee von innen erwachsenes hinzustellen, also das Mannigfaltige aus der
Einheit zu entwickeln bestrebt war. Gerade umgekehrt geht Parrhasios darauf
aus, eine Fülle verschiedenartiger Züge zur Einheit eines Charakters zusam-
menzufassen, und, wie im Demos, selbst die widersprechendsten Eigenschaften
und Stimmungen als in einer Person vereinigt zu zeigen. Aber gerade an die-
sem Beispiele zeigt sich, dass ein solcher Charakter nicht als aus einer inneren
Nothwendigkeit entsprungen gelten kann. Denn die Aufgabe musste schon dann
als gelöst betrachtet werden, sobald nur die Widersprüche als unter einander
versöhnt erschienen. Das Ziel des Künstlers war also, um es kurz auszu-
drücken, nicht mehr das Nothwendige, sondern nur das wahrscheinliche oder
Wahre.
Wenn wir uns jetzt erinnern, dass wir bei Zeuxis in der Auffassung der
Handlung ein ähnliches Herabsteigen vom Nothwendigen zum Wahrscheinlichen
fanden, so scheinen wir dadurch zu dem Schlusse geführt zu werden, dass zwi-
sehen beiden Künstlern hinsichtlich der Endpunkte ihrer Bestrebungen eine
gewisse Gemeinsamkeit obgewaltet habe. Bisher aber begegneten wir wenig-
116 stens in Betreff der Mittel künstlerischer Darstellung nur Gegensätzen, und zu-
nächst werden wir dieselben auch noch weiter auf dem geistigen Gebiete ver-
folgen müssen. Wir nannten die Charaktere des Zeuxis Gatiungscharaktere:
indem die dargestellten Personen einer bestimmten Situation untergeordnet
waren, mussten sie einen Theil ihrer besonderen Individualität einbüssen und