Maler
Die
Zeit des laeloponnesischen
Krieges.
Spannung; aber auch ihre Darstellung verlangt nicht minder das sorgfältigste
Eingehen gerade auf diejenigen Formen und Züge, in denen die Aeusserung
psychologischer Zustände und Stimmungen ihren Sitz hat.
Wenn demnach unsere Behauptung, dass Parrhasios vorzugsweise auf
ihre Schilderung sein Augenmerk gerichtet habe, durch mehrere und be-
sonders bezeichnende unter seinen Werken bestätigt wird, so scheint hingegen
ein directes Zeugniss eines sonst unverwerflichen Gewahrsrnannes damit in ge-
radem Gegensatze zu stehen. Quintilian 1) sagt nemlich von Parrhasios: „er
habe alles so umsichtig durchgebildet, dass man ihn den Gesetzgeber nenne,
weil in den Bildern der Götter und Heroen, wie sie von ihm überliefert wären,
die übrigen ihm folgten, als ob es so nothwendig sei". Denn nach diesen
Worten sollte man glauben, das Verdienst des Parrhasios beruhe darin, gewis-
sermassen einen Kanon für die Idealbildung der Götter und Heroen in der
Malerei festgestellt zu haben. Aber schon der Umstand, dass unter den Werken
des Parrhasios kaum ein einziges Götterbild, und keins mit besonderer Aus-
Zeichnung genannt wird, muss uns darauf hinweisen, dass wir das Zeugniss
Quintilians nicht im einfachsten Wortsinne, sondern nur unter gewissen Be-
schränkungen annehmen dürfen. Diese erscheinen aber auch durch den Zu-
sammenhang geboten, in welchem es sich bei Quintilian findet. Dort wird un-
mittelbar vorher das Verdienst des Zeuxis um Licht und Schatten, das eigent-
lich Malerische in der Malerei, gerühmt und daran die Bemerkung geknüpft,
dass dieser Künstler (doch wohl in Folge dieser Bestrebungen) den Formen
eine grössere Fülle gegeben habe. Dies, müssen wir Wegen des Folgenden im
Gedanken ergänzen, ist eine persönliche, wenn auch nicht zu tadelnde, doch eben 114
so wenig zu allgemeiner Nachahmung zu empfehlende Eigenthürnlichkeit. Parr-
hasios dagegen, heisst es nun weiter, ist wegen seiner feinen Kenntniss der
Linien (und der auf ihr beruhenden genaueren Durchbildung" der Form) ein
mustergültiges Vorbild. Denn in der Betonung der Sorgfalt und Umsicht durch
die Worte: ille vero ita circumspicit omnia, ut eum legumlatorem vocent, liegt
eine so deutliche Beziehung auf den vorher gewählten Ausdruck der Subtilität:
exarninasse subtilius lineas traditur, dass dagegen das Folgende: quia deorum
atque heroum effigies, quales ab eo sunt traditae, ceteri tamquam ita necesse
sit, sequuntur, fast nur wie ein erklärender Zusatz erscheint, dessen Wortlaut
sich zunächst wenigstens in so weit rechtfertigen lässt, als Parrhasios seine
Kunst weniger an Portraits und historischen Gegenständen, als an mytholo-
gischen Darstellungen übte. Fassen wir indessen scharf ins Auge, was wir
bisher über die Eigenthümlichkeit des Parrhasios festgestellt haben, so werden
wir dem Urtheile Quintilians auch eine strengere Deutung zu geben vermögen,
nemlich in dem Sinne, dass die von ihm aufgestellten psychologischen Charak-
tere wegen ihrer psychologischen Wahrheit den Uebrigen als Vorbild und Muster
vorleuchteten. Freilich konnten in Werken der Malerei, wo stets die besondere
Motivirung der Handlung einen bedeutenden Einfluss auf die Darstellung jeder
einzelnen Figur gewinnen muss, nicht, wie bei der Nachbildung plastischer
Ideale, ganze Gestalten in allem Wesentlichen unverändert benutzt und förm-
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