Maler.
Die
dessen Bedeutung; wir bei Gelegenheit des Lysipp kennen gelernt haben, weist
uns mit Bestimmtheit auf gewisse Feinheiten der Behandlung hin, durch welche
die Kunst des Parrhasios ihr eigenthümliches Gepräge erhielt. Welcher Art
aber diese Feinheiten waren, darüber spricht Plinius ausführlich, dessen Urtheil
wir der Uebersichtlickheit wegen zuerst in seinem ganzen Umfange anführen
wollen, wenn wir auch später die einzelnen Theile desselben für unsere Zwecke
unter veränderten Gesichtspunkten zusammenordnen und betrachten müssen.
„Parrhasi0s aus Ephesos trug gleichfalls Vieles zum Fortschritt bei; er führte
zuerst die Proportionslehre in die Malerei ein, verlieh dem Gesicht Feinheiten
des Ausdrucks, dem Haupthaar Eleganz, dem Munde einen sanften Reiz, und
trug nach dem Bekenntnisse der Künstler in den Gontotlren die Palme davon.
103 Darin besteht in der Malerei die höchste Feinheit: denn die Körper zu malen
und was an den Dingen in der Mitte liegt, ist zwar auch etwas Grosses, worin
jedoch Viele Ruhm erlangt haben. Dagegen die äussersten Theile der Körper
zu bilden und die gemalte Darstellung da, wo sie aufzuhören hat, richtig ab-
zuschliessen, das findet man selten unter den Erfolgen der Kunst. Denn die
Extremität muss sich in sich abrunden und so auslaufen, dass sie noch etwas
hinter sich verheisst und selbst das verräth, was sie verbirgt. Diesen Ruhm
haben ihm Antigonos und Xenokrates zugestanden, welche über die Malerei
geschrieben, und auch andere Vorzüge an ihm nicht blos anerkennen, sondern
sogar preisen. Doch erscheint er, mit sich selbst verglichen, in der Darstellung
der mittleren Körpertheile geringer" 1).
Zur Vereinfachung der Untersuchung betrachten wir zunächst einen Satz
dieses Urteils in seiner Vereinzelung: den nemlich, dass Parrhasios zuerst die
Proportionslehre in die Malerei eingeführt habe. Denn dass der Ausdruck sym-
metria auf diese zu beziehen sei, wird unter Hinweisung auf frühere Erörte-
rungen 2) keiner weiteren Begründung bedürfen. Eben so ist schon mehrfach
bemerkt worden, dass jenes „prirnus'-' selten wörtlich zu nehmen, sondern meist
auf einen bedeutenden Fortschritt oder eine Vervollkommnung früherer Lei-
stungen zu beziehen sei. In unserem Falle wird, da wir doch zwischen der
Entwickelung der Sculptur und der Malerei eine gewisse Wechselwirkung an-
nehmen dürfen, ein Blick auf die erstere das Mittel zum richtigen Verständnisse
gewähren. Erinnern wir uns, was Polyklet in der Lehre von den Porportionen
104 geleistet hatte, so muss uns das Streben, Seine Leistungen für die Malerei nutz-
bar zu machen, durchaus naturgemäss erscheinen. Des Parrhasios Verdienst
in dieser Richtung musste aber um so mehr Anerkennung finden, je weniger
1) 35, 67: PRYThäISiLIS Ephesi natuS et ipse multa contulit; prilnus symmetrialn pic-
turae dedit, prilnus argutias voltus, elegantiam capilli, venustafem oris, confessione artiüeuln
in liniis extremis palmam adeptus. Haec est picturae summa subtilitas; corpora enim
pingere et media rerum est quidem magni operis, sed in quo multi gloriam tulerint; ex-
trema corporuln facere et desinentis picturae modum includere rarum iu successu artis-
invenitur; ambire enim se ipsa debet extremitas et sie desinere, ut promittat alia, post se
ostendatque etiam quae occultat. Hanc ei gluriam concessere Antigonus et Xenocrates qui
de pictura scripsere, praedicantes quoque, non solum coniitentes et alia. [Multa graphidis
vestigia extant in tabulis ao membranis eiuS, ex quibus proücere dicuntul- artifices] Minol-
tamen videtnr Sibi comparatus in mediis corporibus exprimendis. Der eingeklanunerte Satz
ist offenbar eine nachträgliche Randbemerkung des Plinius, die an falscher Stelle in den
Text gesetzt worden ist. 2) I, S. 97 fg.