Einleitung.
schrift, namentlich dann, wenn sie auf fragmentirten Steinen so angebracht ist,
dass sie die Absicht verräth, ein Gleichgewicht der Theile des Fragments, nicht
aber des Steins in seinem ursprünglichen, vollständigen Zustande herzustellen.
Vom Standpunkte der praktischen Erfahrung aus lässt sich sogar dieser Satz 4-55
dahin erweitern, dass fragmentirte Steine mit Inschriften allerdings keineswegs
unecht sein müssen, aber dass sie doch stets mit besonderer Vorsicht aufzu-
nehmen sind. Das Ganze mag nicht selten unter der Hand des Fälschers wenig
nach Wunsch ausgefallen sein, während ein Stück die nöthigen Eigenschaften
zu besitzen schien, um es für alt auszugeben. Zu einer absichtlichen Verstüm-
melung zu schreiten, mochte man dann um so weniger Anstand nehmen, als
der fragmentirte Zustand von den Verkäufern nicht selten" gerade als eine Ge-
währ der Echtheit scheint geltend gemacht worden zu sein.
Da natürlich die Inschrift modern sein muss, sofern sich die Neuheit der
ganzen Arbeit des Steins nachweisen lässt, so muss sich die Kritik auch auf
die bildliche Darstellung ausdehnen. Die allgemeinen Gesetze dieser Kritik sind
für alle Denkmäler dieselben: was an einer Statue, einem Belief in Zeichnung,
Modellirung", in der Composition, in der ganzen Auffassung und Denkweise als
unantik gelten muss, ist es natürlich auch an einem geschnittenen Steine, und
es brauchen daher die Gesetze dieser Kritik hier nicht im Einzelnen erörtert
zu werden. Dagegen erscheint es durchaus angemessen, wenn Stephani S. 194-,
wie schon bei Gelegenheit des Schnittes der Buchstaben, so jetzt in Betreff der
Behandlung der Bilder wiederum hinweist auf „jene Sicherheit und Energie des
Geistes bei der Auffassung der Form sowohl, als bei der von dieser abhängigen
mechanischen Ausführung, deren Mangel sich bald als Aengstlichkeit und Un-
entschiedenheit nach jeder Seite hin äussert, bald als äussere glatte Eleganz
in den allgemeinen Formen, aus welcher Flachheit und Unklarheit in der
Auffassung der besonderen Theile durchleuchtet, bald endlich als fein be-
rechnete und vollkommen regelrechte Consequenz oder sogenannte Correctheit,
welche sich selbst auf alle Nebendinge bis zu ihren letzten Gliedern erstreckt."
Der rein mechanischen Qualität des Schnittes wird für die Beurtheilung
der Echtheit von Stephani kaum irgend ein Gewicht beigelegt, da das mecha-
nische Verfahren der ausgebildeten Steinschneidekunst im Alterthum in allem
YVesentlichen dasselbe gewesen, wie in neuerer Zeit (S. 195). Sollten aber auch
gewisse feine Unterschiede existiren, so werden sich dieselben nur durch die 456
gründlichste Kenntniss der Technik und eine umfassende Vergleichung alter
und neuer Steine im Original nachweisen lassen. Fruchtbringender möchte es
sein, die Aufmerksamkeit auf einen andern Punkt zu lenken, nämlich die Unter-
suchung der Oberfläche der geschnittenen Steine selbst, indem ich mich dabei
auf das Zeugniss einer an praktischen Erfahrungen in der Gemmenkunde reichen
Sammlerin, der verstorbenen Frau Mertens-Schaaffhausen berufe. Von einer
Patina im eigentlichen Sinne des Wortes lässt sich allerdings bei den Gemmen
nicht sprechen; doch soll auch auf sie die Wirkung der Zeit nicht gänzlich
ohne Einfluss sein; und zwar in der Weise, dass sich selbst an den am besten
erhaltenen Steinen des Alterthums bei sehr starker Vergrösserung (wie sie für
mineralogische Untersuchungen gebräuchlich ist) auf der ganzen Oberfläche des
Steins eine gelinde Gorrosion zeigt, kaum so stark, dass sie den Glanz der