Gennnellschneider
fast nie fehlen, theils wegen des Geistes der alten Kunstthätigkeit überhaupt,
theils weil der alte Künstler unbefangen sich selbst gab und geben konnte, wie
er eben war. „Es offenbart sich aber dieser Mangel an Zuversicht und Energie
seltener durch eine mehr oder weniger plumpe Ungeschicklichkeit und Unsicher-
heit der Hand, als gerade im Gegentheil durch eine auf das Sorgfältigste be-
rechnete und consequent durchgeführte Begelmässigkeit theils der ganzen Buch-
staben in ihren Verhältnissen zu einander, theils der einzelnen Elemente des-
selben Buchstabens in deren Verhältnissen zu einander, während eine so voll-
kom mene Regelmässigkeit dem energischen Charakter antiken Schnitts fremd
ist und nothwendig fremd sein muss."
In Betreff des Grössenverhältnisses ist schon oben bemerkt worden, dass
sehr kleine Buchstaben an sich den Verdacht der Fälschung noch nicht recht-
fertigen. Wenigstens sind in jedem einzelnen Falle die besonderen Verhältnisse
des Bildes, des Feldes u. s. w. in Betracht zu ziehen.
In Betreff der Form der Buchstaben werden von Stephani namentlich
zwei Eigenthümlichkeiten hervorgehoben, nämlich zuerst, dass die Fälscher, um
die Inschrift antikem Gebrauche gemäss dem ersten Anblicke möglichst zu ent-
ziehen, bestrebt gewesen seien, die einzelnen Linien so dünn und schmal zu
machen und sie nur so seicht und leicht einzugraben, als es nur immer ge-
454 lingen wollte. Sodann wird auf die übertriebene Vorliebe für die Kugeln an
den Enden der Buchstaben-Linien hingewiesen. Ich Ieugne nicht die Richtig-
keit dieser Bemerkungen; in ihrer Anwendung erheischen sie jedoch sehr grosse
Vorsicht, da die Grenzen des Zuviel sich kaum bestimmt angeben lassen. Was
namentlich die Kugeln anlangt, so schränkt Stephani ihre Anwendung im Alter-
thum in zu enge Grenzen ein und hat sich dadurch verleiten lassen, manche
nachweislich alte Inschrift zu verdächtigen.
O rthographische Versehen und Fehler beweisen zwar nicht unbedingt
die Unechtheit einer Inschrift, indem sie vereinzelt auch in alten Inschriften
vorkommen. Aber sie verstärken den Verdacht, namentlich wenn sich mit Wahr-
scheinlichkeit nachweisen lässt, wie der Fälscher in dem einzelnen Falle dazu
kam, den Fehler zu begehen, oder wenn der Fehler sich öfter wiederholt (so
z. B. die Form JJIOCKOPIJPKJ). Noch entscheidender ist es, wenn die Namens-
form geradezu Lingrieehisch ist, wie zlzlzllON. Dass die Abkürzung EH für
ärwlsu, nicht unbedingt ein Beweis der Fälschung ist, lehrt die Inschrift des
Eutyches; doch giebt sie einen Grund zum Verdacht ab, wo sie ohne eine äussere
Veranlassung vorkömmt. Ueber fehlerhafte Zeilenabtheilung ist schon oben
gesprochen worden. In paläographischer Beziehung müssen natürlich unge-
wöhnliche Buchstabenformen immer Anstoss erregen, und eben so hebt Stephani
mit Recht hervor, dass Punkte an den Enden der Worte, wenn sie auch in der
spätern griechischen Epigraphik vorkommen, doch auf Gemmen- und nament-
lich Künstlerinschriften noch nirgends als echt nachgewiesen worden sind.
Weitere Gründe gegen die Echtheit fasst Stephani S. 191 unter der Be-
zeichnung „innere Widersprüche" zusammen. Als solche betrachtet er
namentlich: a) Verschiedenheit im Schnitt des Bildes und der Buchstaben;
b) vertiefte Buchstaben auf Cameen, was nur unter sehr starken, schon früher
hervorgehobenen Einschränkungen zugegeben werden kann; c) den Ort der In-