Wal er.
gleicht darin den Kunstforschern des vorigen Jahrhunderts, Welche von der
'28 Malerei vor Raphael nur geringe Kenntniss haben, um so mehr aber von Zeich-
nung, Farbe, Helldunkel u. a. seiner Zeitgenossen und Nachfolger zu erzählen
wissen. Die Rechtfertigung, wie die Bedeutung der hier aufgestellten Sätze
kann sich natürlich erst durch die ganze folgende Betrachtung der Geschichte
der Malerei bis auf Apelles ergeben.
Polygnot also malte nach Plinius die Frauen mit durchsichtigem Gewande.
Wörtlich könnte dies nur heissen, dass er seine Gestalten mit einer Art von
durchsichtigem Flore bekleidet habe; allein dies hätte doch nur ausnahmsweise
der Fall sein können, wenn der Maler nicht gegen alles, was er täglich vor
Augen sah, verstossen wollte. Der Sinn dieser Worte wird also in bestimmter
Weise zu begrenzen sein, und zwei andere Angaben bieten uns dazu die Mittel.
Lucian in der bekannten Stelle 1) will seine Musterschönheit in der Weise der
Kassandra von Polygnot bekleidet haben: das Gewand auf das dünnste und
feinste ausgearbeitet (äg rö Äsnrdrocrov ätfetgyacrttävryv), so dass es, so viel als
nöthig, in Massen zusammengezogen sei, meist aber wie vom Winde durch-
wehet bewegt erscheine. Ebenso legt Aelian 2) dem Polygnot Feinheiten in der
Gewandung (iaarioav Äsnrrirryrocg) bei. In beiden Stellen stehen die Worte Äsnt-
nirarov, Äsmrörqg in einem eigenthümlichen Doppelsinne; nemlich dass sie streng
genommen auf die künstlerische Behandlung bezogen werden müssen, doch
aber nur dann ihren vollen Sinn zu haben scheinen, wenn wir das Äsrtrdv, das
Dünne und Feine auch als eine Eigenschaft des Stoffes der Gewandung selbst
anerkennen. Es ist offenbar hier an einen Stoff zu denken, welcher sich in
viele kleine und zarte Falten zerlegt, für dessen Darstellung in der Malerei also
nicht weniger eine grosse Feinheit und Zartheit in der Zeichnung erfordert wird.
Danach erscheint es sehr wohl möglich, dass die Durchsichtigkeit des Gewandes
bei Plinius nichts anderes ausdrücken will, als was bei den griechischen Ge-
währsmännern durch Äenrörwyg bezeichnet wird, und wir daher mehr an ein
Durchscheinen der Form, als der Farbe des Körpers zu denken haben. Doch
lässt sich dem Ausdrucke des Plinius vielleicht auch noch ein bestimrnterer Sinn
unterlegen. Von Kimon, dem Vorgänger des Polygnot, hiess es, dass er die
29 Massen der Gewandung naturgemässer gesondert habe; bei dem Mangel eigent-
licher Schattengebung wird er aber eine volle Klarheit in der Anordnung kaum
erreicht haben. Blicken wir nun auf die bessern der tarquiniensischen Wand-
gemälde, doch immer die wichtigsten Werke, welche uns zur Vergleichung übrig;
geblieben sind, so werden wir finden, dass man sich diesem Ziele zu nähern
suchte, indem man unter dem Gewande den vollständigen Umriss der Figur
selbst sehen liess, gewissermassen die Ursache der aussen sichtbaren Wirkung:
Denn dem Auge wurde dadurch deutlich, weshalb das Gewand gewisse Formen
annahm, weil es erkannte, wie es sich lheils an die Formen des Körpers an-
lehnte, theils von ihnen ablöste. Nehmen wir nun an, dass dieses Verfahren
zuerst von Polygnot angewendet wurde, so liesse sich dadurch die Ausdrucks-
weise des Plinius wenigstens in gewisser Beziehung rechtfertigen; und auch dass
er nur von Frauen spricht, hätte seinen guten Grund. Denn bei den kürzeren
Imaää-